Der Stein von Orth
Der Stock.
Auffangbecken für all den Müll, der von den feineren Bezirken Sigils runtergespült wird. Hier sammelt sich Verwahrlosung, paart sich mit Klaustrophobie und Verzweiflung. Der Stock ist so ziemlich der letzte Ort, an dem man sein möchte - es sei denn man ist auf der Suche nach etwas, so wie wir.
Je weiter wir uns von den überfüllten Straßen entfernen, um so mehr scheint sich Sigil über uns zusammenzuziehen. Die Häusergiebel neigen sich immer weiter aufeinander zu und schlucken schließlich noch das letzte bißchen Licht, das durch die dicken Rauchschwaden der nahen Gießerei drang. Die lauten Geräusche der Straße entfernen sich mehr und mehr, vermengen sich zu einem tiefen, hohlen Brummen.
In einer dunklen Gasse kriecht ein Bettler auf uns zu. In ihm manifestiert sich die Seele des Stocks: elend, verkrüppelt, bar jeder Hoffnung und Zukunft. Dennoch spricht er uns ohne Scheu an, vielleicht treibt ihn aber auch nur der Hunger.
Wir geben ihm etwas zu Essen und zu Trinken, versorgen seine Wunden. Etwas hat ihm, wohl schon vor längerer Zeit, beide Beine abgerissen. Er zeigt sich dankbar und gibt uns ein paar Hinweise wie wir Ärger hier im Stock vermeiden können, unter anderem dass wir uns von einer Spelunke namens Schwarze Pranke fern halten sollten - gegen die wäre das Schwarze Segel ein Kindergarten.
Wir beherzigen seine Ratschläge und kommen ohne Zwischenfälle an der Adresse, die man uns bei den Sinnsaten gab, an. Direkt gegenüber der verrußten, windschiefen Barracke steht ein düsteres Gebäude mit weißen Bullaugen. Sie glotzen uns an wie pupillenlose Augäpfel, mich fröstelt. An der schweren Metalltür hängt ein riesiger verbeulter Streitkolben, an dem träge ein Schild baumelt. Eine schwarze, dreifingrige Klaue prangt darauf, von Schädeln umrandet.
Eine alte Vettel öffnet uns. Sie geht tief gebeugt, ihr Haar sieht aus als hätte es schon länger kein Wasser mehr gesehen, doch ihre Augen sind hellwach und mustern uns mißtrauisch. Diesmal bin ich wirklich dankbar, dass wir Luzija dabei haben, sie weiß besser als Furgas wie die Menschen hier ticken und schnickt der Alten etwas Klimper zu. Mit ungeahnter Gewandtheit läßt sie die Münzen irgendwo in den Taschen ihrer abgewetzten Strickjacke verschwinden und erzählt uns nun bereitwillig, dass der Magister seit etwa 6 Monaten hier eingemietet hatte. Nur nachts sei er gekommen, doch was heißt das schon - hier ist es ja immer dunkel, und habe komische Dinge gemacht. Er sei auch in die Schwarze Pranke gegangen.
Nur einmal habe er Besuch bekommen, von einem hübschen blonden Elfenbarden namens Jarvis. Sie hätten sich gestritten, und danach sei der Magister nicht mehr wieder gekommen. Mittlerweile sei sein Zimmer auch wieder vermietet.
Wir gehen zu seiner ehemaligen Bleibe im vierten Stock. Niemand antwortet auf Detritors Klopfen. Er drückt die Türe auf und plötzlich springt ihn eine Gestalt mit gezückten Dolchen an!
In dem engen Flur ist es mir unmöglich, meinem Freund zu Hilfe zu eilen, und auf meine Rufe zur Vernunft geht sowieso keiner ein. Alles kabbelt, hampelt, stochert herum und versucht sich an Zaubern, die aber nicht fruchten. Furgas löst das Problem schließlich pragmatisch und rammt die beiden Kämpfenden ins Zimmer hinein, die Tür ist frei für uns. Unten keift die alte Vettel, wir sollten nicht ihr kostbares Mobiliar beschädigen. Als ob wir gerade keine anderen Sorgen hätten!
Der geballten Kraft unserer Gruppe hat der neue Mieter nichts entgegenzusetzen. Noch dazu scheint er ziemlich betrunken zu sein, er hat eine Fahne die man von hier bis in den Bezirk der Dame riechen könnte.
Als es schon wieder darum geht, wie mit dem Gefangenen zu verfahren sei, lasse ich mich nicht überstimmen. Wir sind die Eindringlinge, er hatte jedes Recht, uns anzugreifen. Wenigstens hören die anderen diesmal auf mich, und so wird der Bewußtlose nur gefesselt und ich darf seine Wunden versorgen.
Währenddessen nehmen die anderen das Zimmer auseinander, wortwörtlich. Hatte die ranzige Bude den kleinen Kampf mehr oder minder heil überstanden, gibt ihr die nun folgende Razzia endgültig den Rest. Detritor und Luzija reißen ab was nicht niet- und nagelfest ist, und was angenagelt ist, wird aufgebrochen.
Doch die Suche ist von Erfolg gekrönt: unter einer losen Diele findet Furgas tatsächlich den Sinnesstein! Ich bin so gespannt, welche Erinnerung er wohl enthält die es wert ist, dafür zu töten; ein Sinnsorium in der Halle der Sinnsaten wird es uns enthüllen.
Elidan gibt dem bewußtlosen Fusler noch etwas Heilung mit auf den Weg, bringt die schimpfende Vettel mit einer großzügigen Entschädigung zum Schweigen und wir wollen uns rasch auf den Weg zur Stadthalle machen, doch draußen werden wir bereits erwartet:
20 Scheusale und ein paar andere zwielichtige Gestalten haben sich auf der anderen Straßenseite postiert und laden uns übermäßig freundlich auf ein Glas in die "Schwarze Pranke" ein.
Diesmal kann uns selbst Luzija nicht herausreden, also geben wir Fersengeld. Vielleicht nicht die mutigste Entscheidung, aber mit Sicherheit die gesündere. Ich für meinen Teil würde mich jedenfalls nur ungern von einem von denen ins Totenbuch stecken lassen.
Detritor klemmt sich Goin unter den Arm, der ist mittlerweile der einzige unter uns, der noch keinen Weg gefunden hat seine Bodengebundenheit aufzuheben. Selbst Furgas in seiner schweren Rüstung ist erstaunlich agil, seit er eines Nachts auf unserem letzten Ausflug nach Irkbaz mit Ig'nea verschwunden war. Luzijas dreckiges Grinsen werde ich so schnell nicht vergessen, und ich bin mir nicht sicher ob ich überhaupt wissen will, was in dieser Nacht geschehen ist.
Wir fliegen zurück zu Artur und Odos Haus, dieser Ort erscheint uns vorerst am sichersten. Vor dem Haus, an der Wand und vor allem um die Tür herum sehen wir ein paar dunkle Flecke. Vermutlich Blut. Scheinbar hat es in unserer Abwesenheit Ärger gegeben.
Doch Hans öffnet uns wie gewöhnlich die Tür und bittet uns herein, als wäre nichts geschehen.
Als Detritor und Furgas aber durch den Türrahmen treten, fallen von ihnen plötzlich zwei eklige schwarze Käfer ab. Sie sind tot, wahrscheinlich von den Schutzzaubern hier vernichtet. Odo wird herbeigerufen und er bestätigt unseren Verdacht: es sind Grubkäfer, niederstes Ungeziefer aus den Neun Höllen. Sie sind nicht sonderlich helle, eignen sich daher aber umso besser um Hellsichtzauber auf sie zu legen.
Irgendjemand hat also versucht, uns zu verfolgen. Elidan wirft ein, dass er vorhin tatsächlich kurz dachte, er hätte einen der Abishai hier vorm Haus wiedererkannt. Wir berichten Odo von den Geschehnissen im Stock und er weist uns an, ihm in Kürze hinters Haus zu folgen.
Elidan hatte Recht. Als wir Odo hinterm Haus antreffen, hat er den Spion bereits niedergerungen und übel zugerichtet. Er behauptet, er sei nur der schönen Luzija gefolgt um sie um ein "privates Treffen" zu bitten. Weder Schmerzen noch Verhör bringen ihn dazu uns zu verraten, nach wem der Magister in der Schwarzen Pranke gefragt hatte, und auf sein schmieriges Angebot, es mir zu sagen wenn ich ihn dafür... nein, einfach ekelhaft.
Da wir bei diesem Scheusal nicht weitergekommen beschließen wir, uns lieber dem Stein zu widmen und begeben uns in eines der Sinnsorien in der Halle der Sinnsaten. Endlich werden wir erfahren, was es mit dieser Erinnerung auf sich hat, von der der Hundefürst in Irkbatz meinte, sie sei eine Hilfe aber im Grunde doch keine und die einen hochrangigen Magister der Sinnsaten buchstäblich den Kopf gekostet hat!
Ich versenke mich in die Erinnerungen ...
... Ich bin in einem dunklen Raum. Schemenhaft erkenne ich Regale, eine Kerze erhellt schwach das kleine Zimmer. Ich halte ein Buch in den Händen, es sind die Hände eines Mädchens. Es ist eine Art Märchenbuch, "Der Untergang von Orth".
Es geht darin um eine Stadt. Sie steht in Flammen, der König ist wahnsinnig und legte Feuer im Palast, der als einziger noch nicht brannte. Die Bevölkerung ist in Panik, Menschen schreien und brennen. Dann klappe ich das Buch zu, schaue aus dem Fenster in eine grüne Landschaft unter blauem Himmel, die Sonne scheint.
Das war es. Ein wenig bin ich enttäuscht, ich weiß nicht was ich erwartet hatte, doch bestimmt nicht etwas so unscheinbares. Ich berichte den anderen kurz von der Erinnerung und auch sie sehen sich alles genau an, doch wir sind ratlos.
Als ich den Stein untersuche entdecke ich, dass ein Teil der Erinnerung fehlt. Der Anfang wurde gelöscht und ist unwiederbringlich verloren. Verdammt, wir sind zu spät, jemand hat bereits die wichtigsten Beweise vernichtet.
Von einer Stadt Orth habe ich noch nie gehört, doch Luzija erinnert sich an ein altes Gedicht, das aber die Ratlosigkeit nur noch vergrößert. Es lautet:
"Schwelendes Herz,
Finsteres Herz.
Licht in der Finsternis.
Das Dunkel im Strahlen.
Strahlender Geist,
Brennender Geist.
Lüge in der Wahrheit,
Trug selbst im Schein.
Ist er sein,
will er's sein."
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