Der Höllenhund "Zerstörung"
Wohin wir auch gehen, die Zerstörung folgt uns auf dem Fuße wie ein treuer Hund seinem Herrchen.
Nur dass es ein dämonischer, dreiköpfiger Hund ist, der alles verschlingt, an dem sein Herrchen vorüber geht.
Wir beabsichtigen das nicht. Es geschieht einfach, und ich vermag nicht mehr zu unterscheiden, was davon nur unglücklicher Zufall ist und was mit uns zusammenhängt. Fast ist mir, als ob ein Fluch auf uns läge.
Zumindest in diesem Punkt haben die Mönche Recht: wir sind eine große Gefahr. Schon jetzt.
Es begann schon bei den Zwergenoberhäuptern der Binge Barmak, die wir für Wochen außer Gefecht setzten. Der Nächste in der Reihe war unser glückloser Führer in Irkbaz, der dem Bösen anheim fiel.
Danach steigerten wir uns und zerstörten ein Portal in den Ruinen von Irkbaz, nur um als nächstes eine ganze Stadt, Tamra, fluchtartig wieder zu verlassen, weil Horden von Teufeln und Monstren sie zu überrennen drohten.
Und jetzt Ipkunis. Hier haben wir wohl das vorläufige Meisterstück geschafft. Dabei fing diesmal alles so vielversprechend an ...
Wir hatten uns wieder auf den Weg gemacht.
Der Kampf gegen die Mönche hatte uns nicht lange aufgehalten, und wir blieben von weiteren Angriffen verschont. Luzija und Draka stießen auch wieder zu uns, und da sich Luzija sofort in das seltsame Ritualbuch vertiefte, verlief die Reise auch weiterhin ruhig.
Unterwegs trafen wir auf eine weitgereiste Spielmannsgruppe, die uns viel über diese Gegend erzählte: Über Man?s End im Westen, wo die gerechte Lady Esalis herrscht und Helden ihren vergangenen großen Taten nachträumen. Über Ipkunis im Osten, die Stadt der tausend veränderlichen Gassen. Wo jedermann sein Recht selbst in die Hand nimmt, doch ab und an ein gewisser Aldor Tatz für Ruhe sorgt, wenn es zu bunt wird.
Aldor Tatz.
Mit ihm fing der Ärger an. Oder besser gesagt, mit seinem Tod. Doch ich greife vorweg.
Wir erreichten Ipkunis nach einer Woche, und sogleich schwärmte unsere reisemüde Gruppe auseinander. Während die anderen sich auf dem Marktplatz tummelten, wo reger Betrieb herrscht und Waren aus aller Herren Länder feilgeboten werden, fragte ich mich zum hiesigen Heiler durch. Vielleicht kann man mir hier helfen?
Detritor hatte ich empfohlen mitzukommen, doch er wollte nicht. Hatte wohl zu schlechte Erinnerungen an meinen letzten Behandlungsversuch.
In der Tat fand ich einen fähigen Heiler, einen freundlichen Mann mit erstaunlich feingliedrigen Fingern. Sein Häuschen kauerte im Schatten eines gewaltigen, acht mal acht Meter großen Kubus, welcher das Domizil von Aldor Tatz sein soll.
Doch zu diesem Zeitpunkt interessierte ich mich nicht für diesen Tatz, auch wenn mir dieses Heim sonderbar vorkam, verglichen mit dem Rest der Stadt stach es hervor wie ein einzelner Baum in der unendlichen Grasebene meiner Heimat.
An die folgenden Tage habe ich nur verschwommene Erinnerungen.
Ich weiß noch nicht einmal, wie viele Tage es waren. Sie verschmolzen zu einem endlosen Brei aus Agonie, irgendwo auf der Grenze zwischen wach und bewußtlos. Phasen von brennendem Schmerz, vernebelt durch Betäubungsmittel, die Zunge zu schwer zum Schreien. Es hätte das hässliche Knacken vermutlich sowieso nicht übertönen können.
Heiße Brühe. Das Gefühl von schweren Eisenzwingen auf meinem Rücken. Kräutertee, gemurmelte Heilsprüche und ich glaube sogar ein Besuch meiner Freunde. Aber vielleicht habe ich das auch nur geträumt.
An ein Bild erinnere ich mich so glasklar, als wären alle meine Sinne doppelt scharf, doch ich wünschte, dem wäre nicht so:
Ich sehe mein Spiegelbild in einem Fenster, es ist teilweise beschlagen von der Feuchtigkeit, die aus getränkten Leinentüchern dampft. Die Luft ist erfüllt vom Dunst aus Tiegeln über einem Feuer, in denen aromatische Kräuterpasten kochen.
Im Fenster sehe ich mich selbst bäuchlings auf einem großen, stabilen Holztisch liegen, nackt. Eine schwere Seil- und Eisenkonstruktion mit unzähligen Gelenken zwingt meine Flügel, in grotesken Winkeln vom Körper abzustehen. Der Heiler hantiert geschäftig an diesem Monstrum herum, fixiert einen Knochen hier, zurrt ein Seil da. Ein prüfender, abschließender Blick, er bemerkt dass ich wach bin. Hält mir ein Tuch mit süßlichem Geruch unter die Nase, zieht dann plötzlich fest an einem Seil, und das letzte was ich höre, bevor ich wieder in tiefen traumlosen Schlaf falle, ist das Krachen meines Flügelknochens.
Doch es tut schon nicht mehr weh.
Irgendwann verschwindet der bleierne Schleier endlich und kehrt auch nicht mehr zurück.
Gedämpftes Licht scheint auf mein Gesicht, von einer Lampe an meinem Bett. Nach einer Weile höre ich Schritte und der Heiler tritt ein, ein Tablett in der Hand. Er lächelt mich an, doch ich sehe die Sorgenfalten trotzdem.
"Diese Flügel waren ein hartes Stück Arbeit." sagt er und stellt das Tablett vor mich, ein Teller Suppe und Brot liegen darauf. "Doch du bist ein zähes Mädchen." Aus seinem Mund klingt es gar nicht bevormundend oder herablassend. Er sieht müde aus. Dennoch sehe ich einen gewissen Stolz in seinen Augen, als er mir den Löffel reicht und mir die schönste Nachricht seit langem verkündet: "Noch ein wenig Schonung und du kannst wieder fliegen wie früher. Die Knochen sind gerichtet und verheilen gut, Federn hast du auch fast keine gelassen."
Würde ich damit nicht die Suppe quer durch den Raum katapultieren, würde ich ihm am liebsten um den Hals fallen. So begnüge ich mich damit, ihm überglücklich diese feinen Hände zu drücken und ihn unter Tränen mit Dankes- und Segenswünschen zu überhäufen.
Erst als er mich, fast ein wenig peinlich berührt, mit dem Löffel abwehrt, lasse ich von ihm ab und löffele begierig die heiße Suppe. Alle Erinnerungen an Schmerz und Unbill sind vergessen, ich schwebe förmlich in meinem Bett vor Glück.
Doch dann erinnere ich mich an seinen sorgenvollen Blick.
Erst will er nicht recht mit der Sprache herausrücken, doch schließlich erfahre ich, dass in der letzten Nacht Aldor Tatz ermordet wurde, sein Körper mit vier Krummsäbeln an die Stadtmauer geheftet. Seitdem ist die Stadt in Aufruhr, Chaos greift um sich, nun da die letzte Bastion der Ordnung gefallen ist.
Sofort schießt mir ein Name durch den Kopf: Brenell! Er ist uns doch gefolgt. Kann das sein? Was führt er im Schilde? Geht es den anderen gut?
Meine übermütige Laune ist dahin. Ich habe spontan den Appetit verloren, stelle das Tablett beiseite und steige vorsichtig aus dem Bett. Nach der langen Pause fühlen sich meine Beine noch ein wenig wackelig an, probeweise schlage ich leicht mit den Flügeln - es fühlt sich gut an! Schmerzt noch ein wenig, aber es fühlt sich richtig an.
Der Heiler beobachtet mich die ganze Zeit wortlos, aber aufmerksam. Er weiß, dass er sich Proteste sparen kann. Er hilft mir in meine Rüstung und stellt auch keine Fragen, obwohl ich sie in seinen Augen lesen kann. "Es gibt da jemanden, der vielleicht verantwortlich für diese Misere ist," versuche ich zu erklären. "ich muß meine Freunde finden, uns steht womöglich Schlimmes bevor."
Er blickt mich traurig an. "Viel schlimmer kann es kaum mehr werden." Verständnislos blicke ich ihn an, er nickt zur Tür. Als ich sie öffne, wird mir schlagartig klar, warum im Zimmer die Vorhänge geschlossen sind und es vom ruhigen Licht einer Lampe erhellt wird, obwohl es Tag ist.
Ipkunis ist umringt von einer lodernden, alles verzehrenden Flammenmauer. Turmhoch, meilenweit nichts als das pure Inferno.
Und hier stehen wir nun. Zeugen und Gefangene dieses zweifelhaften Meisterwerks. Unser dreiköpfiger Höllenhund Zerstörung hat wieder zugeschlagen, härter als je zuvor.
Die anderen haben mich mittlerweile gefunden, sie berichten mir, was vorgefallen ist. Kurz gesagt: Brenell. Und er hat das Baby.
Noch hält eine seltsame Maschine in Aldors Haus die Flammen fern, doch wie lange noch?
Was hat es mit dem auf sich, das Draka jenseits der Flammen sah: Scheusale, die in brennenden Ruinen ihrem grausigen Tagwerk nachgehen?
Ein schrecklicher Verdacht steigt in mir auf, als Erinnerungen an unsere Lehrstunden in Ebenenkunde aufkeimen. Ausgerechnet jetzt kommt mir ein unpassender Gedanke in den Sinn: und dafür die ganze Tortur mit den Flügeln...
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