Der Weg in den Käfig
Kurz nachdem Renwan unsere Stadt verlassen hat, hält es auch mich nicht länger hier. Der Park ist fertig und braucht nur noch gelegentlich eine helfende Hand, damit wird mein Elfenfreund gut allein fertig. Wozu also noch länger in diesen engen Mauern verweilen?
Die Delegation des Kaisers Turgon II war wie von den Dieben angekündigt bei uns eingetroffen und alle haben sich förmlich überschlagen vor lauter Freude über die neuen Verwaltungsmöglichkeiten: wieder Steuern festsetzen, diesmal von uns an Turgon zu zahlen, Verträge und Absichtserklärungen unterschreiben, Botschafter nach Schirat entsenden, Gesetze anpassen - wie mir das alles zum Hals heraushängt.
Als ich mich plötzlich bei dem Gedanken ertappe, dass es vielleicht doch keine so gute Idee war, Ipkunis aus dem Abgrund zu retten, weiß ich, dass es endgültig Zeit ist zu gehen, sonst werde ich noch wahnsinnig.
Leider haben sich Luzija, Ig'nea und Detritor ebenfalls diesen Zeitpunkt ausgesucht, um zu verschwinden. Angeblich wollen sie nur zwei Wochen weg Richtung Süden, um dort Informationen über ein Portal nach Sigil zu finden, von dem der Botschafter des Kaisers gesprochen hat. Doch aus den zwei Wochen werden drei, dann vier, und egal wo wir nach ihnen suchen, sie bleiben unauffindbar.
Nun hängt umso mehr Arbeit an uns Verbliebenen, doch ich kann beim besten Willen nicht länger in der Stadt bleiben. Ich verlasse Ipkunis mit dem Versprechen, regelmäßig vorbeizuschauen, und beginne meine Erkundungsreise durch Astaran, vom Westen wo der Blaue Drache haust bis in den Osten, wo die Wälder beginnen.
Endlich kann ich wieder den Wind um die Nase spüren, die grüne Landschaft gleitet unter mir hinweg, und ich bekomme seit langem wieder Tiere zu Gesicht! Das Kriegsgebiet der Echsen meide ich, und auch den Drachen kann ich nicht entdecken, doch das ist wohl auch besser so. Große Siedlungen wie Ipkunis gibt es hier keine, nur hin und wieder ein kleines Dorf.
Nach zwei Monaten bemerke ich, dass mir in einiger Entfernung ein Adler folgt. Er scheint kein besonderes Ziel zu haben und kommt auch nie näher als eine halbe Meile an mich heran, doch irgendwie fühle ich mich von ihm aufmerksam beobachtet.
Woche um Woche vergeht. Das Tier weicht mir nicht mehr von der Seite, es sei denn ich kehre nach Ipkunis zu meinen regelmäßigen Besuchen zurück, dann kreist er gerade noch in Sichtweite jenseits der Stadtmauer.
Ich frage mich, ob ich versuchen soll näher an ihn heran zu kommen, und in den nächsten drei Monaten verringere ich vorsichtig immer weiter den Abstand zwischen uns, drehe wie zufällig in seine Richtung oder lasse den Wind mich seitlich näher an ihn herandrücken. Er weicht nicht aus. Ich beobachte ihn, wenn er elegant auf ein Kaninchen herabstößt, und er beobachtet mich, wenn ich meine Beute zielsicher mit dem Bogen erlege. Wenn ich mich nachts unter den Ästen eines Baums zur Ruhe lege weiß ich, dass er in den Zweigen hockt, den Schnabel unter einen Flügel gesteckt und mich aus einem halbgeöffneten Auge noch immer beobachtend.
Ein weiterer Monat vergeht, mittlerweile fliegt mein Begleiter nur noch zwanzig Schritt entfernt von mir. Auch nach Ipkunis folgt er mir, landet jedoch immer auf einem der höchsten Türme und wartet dort auf meine Rückkehr. Ich werde bald den anderen von ihm erzählen müssen und wohl ein Gesetz gegen die Jagd von Raubvögeln in der Stadt erlassen, sonst schießt vielleicht noch ein Trophäenjäger auf ihn.
Als ich das nächste Mal Ipkunis verlasse steigt der Adler so dicht neben mir auf, dass ich nur die Finger ausstrecken müsste und ich könnte ihn berühren. Ich tue es nicht; doch als ich später am Tag einen Hasen erlegt und ein kleines Feuer entzündet habe, teile ich ein großzügiges Stück Fleisch ab und halte es ihm mit ausgestreckter Hand entgegen. Nur einen Flügelschlag später sitzt das Tier auf meinem Handgelenk und macht sich über den Hasenschenkel her. Vorsichtig streiche ich mit der anderen Hand über sein weißbraunes Gefieder.
Ich glaube, ich habe einen neuen Freund gefunden.
Im elften Monat nach ihrer Abreise kehren schließlich Detritor und Ig'nea zurück. Die Freude ist natürlich groß, aber ebenso die Neugier, denn sie tragen noch immer dieselbe Kleidung wie damals und die sieht recht mitgenommen aus. Sie erzählen uns eine unglaubliche Geschichte - doch was an unseren Geschichten wäre anders:
Der Botschafter des Kaisers hatte sie in eine kleine Gemeinde im Süden namens Winsk geschickt. Der dortige Hofmagier Istan behauptete, er kenne in Blautann ein Portal nach Sigil, für weitere Details müssten sie ihm jedoch erst das Elixir der Lüfte besorgen. Sie stimmten notgedrungen zu und reisten weiter in ein Gnomendorf am Rand des Großen Waldes, wo sie einen Führer anheuerten, was wohl nicht so einfach war, denn angeblich kommt "aus diesem Wald keiner zurück". Sie irrten auch eine ganze Weile darin umher, wurden von den Bäumen angegriffen und liefen im Kreis, doch schließlich fanden sie eine Schlucht, in der Zentauren lebten. Sie waren auch dort gefangen, aber konnten ihnen zumindest den Weg zu dem Ort weisen, an dem sie aus seltsamen Wolken dieses Elixir brauen konnten. Natürlich haben sie es gleich an sich selbst ausprobiert, und deshalb können sie jetzt fliegen und haben immer eine Art Luftschicht um sich herum.
Deshalb laufen sie also so komisch, ich hatte mich schon gewundert.
Luzija sei nun unterwegs zu Istan, um ihm das Elixir im Austausch für Informationen über das Portal zu bringen, dann würde sie zu uns stoßen. Endlich eine heiße Spur nach Sigil! Ich bin so gespannt auf diesen Ort, von dem wir schon so viel gehört haben.
Doch zuerst mußten wir die beiden auf den neuesten Stand bringen. Natürlich fiel ihnen mein neuer Begleiter auf, der mir nun auf Schritt und Tritt folgt, selbst in die Häuser hinein.
Ebenso interessant, auch für mich, war eine Änderung an Aldors Haus: Der Kubus ist verschwunden und statt dessen wächst nun buchstäblich ein weißer Steinzylinder aus dem Boden, jeden Tag ein bißchen mehr. Rinpi hatte, bevor er die Stadt verließ, gesagt, das sei in Ordnung und wir sollten nichts dagegen unternehmen.
Klar, dass wir trotzdem wenigstens nachgeschaut haben. Goin und seine Zwergenfreunde graben drumherum, können aber keine Wurzeln oder dergleichen finden. Hinein geht es auch nicht, es läßt sich kein Stück herausbrechen und auch magisch ist dem Ding kein Beikommen. Ich habe den Eindruck, dass der Turm vielleicht etwas mit den Ebenen zu tun haben könnte, eine Folge des Effekts, der hier aufgetreten ist.
Doch am Ende beschließen wir, den Turm einfach Turm sein lassen und ihn ins Stadtwappen aufzunehmen, immerhin sieht man ihn schon von weitem leuchten.
Und dann kommt endlich der Aufbruch aus Ipkunis. Ein paar letzte Ratschläge an meinen elfischen Parkbehüter, die Habseligkeiten gepackt und dann geht es auf nach Süden! Vielleicht treffen wir unterwegs ja auf Luzija.
Zwei Wochen lang reisen wir am Fluß gen Süden, dann taucht endlich die 3000 Einwohnerstadt Winsk auf. Schon von weitem leuchten uns seine weiß gekalkte Fachwerkhäuser entgegen. Durch eine wohlgepflegte Obstwiese gelangen wir in die Stadt. Leider bin ich das Stadtleben nicht mehr gewohnt, und so übersehe ich beim Einflug völlig das kleine Zollhäuschen am Stadttor. Prompt kommt bei unserer Landung auf dem Marktplatz auch ein kleiner Wachtrupp angeschnauft und verlangt von uns entweder Wegzoll oder Verschwinden.
Da ich in den letzten Monaten weder Bedarf noch Gelegenheit zum Geldverdienen hatte will ich mich schon zum Gehen wenden, da holt Detritor neben mir tief Luft und macht die braven Zöllner so zur Minna, dass sie sich sogar entschuldigen, bevor sie kleinlaut abziehen. Der Weg zu Istan ist frei.
Detritor führt uns zielsicher zu einem Fachwerkhaus etwas abseits vom Marktplatz, ein älterer Gelehrter öffnet uns. Ein wenig unwirsch ist er, behauptet, Luzija sei nicht hier gewesen. Doch als Ig'nea ihm das Elixir hinhält, bittet er uns rasch herein.
Drinnen herrscht wüstes Durcheinander: überquellende Bücherregale, aufgerollte Pergamente, halbleere Teetassen und magisches Gerät. So wirklich sympathisch ist mir der Magier nicht, auch Furgas sieht ihn kurz mit diesem Blick, den er seit neuestem manchmal hat, an, und preßt die Kiefer zusammen. Er mag ihn scheinbar ebenso wenig.
Nach einigem vorsichtigen Diskutieren einigen wir uns schließlich darauf, ihm das Elixir zu überlassen wenn er uns zum Portal begleitet und uns dort zeigt, wie es funktioniert. Wir schließen den Kreis, er spricht ein paar Formeln, um uns nach Blautann zu teleportieren...
... und plötzlich stehen wir allein im Wald. Vor uns lehnen zwei umgestürzte Bäume aneinander und bilden eine Art natürlichen Torbogen. Ich steige auf und erkenne den Wald, hier war ich schon während meiner Wanderung gewesen. Wir sind etwa hundert Meilen nördlich von Ipkunis. Wir wundern uns zwar, wo Istan geblieben ist, doch wir können keine Falle entdecken. Elidan untersucht derweil das Portal und findet heraus, dass es tatsächlich nach Sigil führt, in zwei Richtungen funktioniert und nur nachts aktiviert werden kann. Außerdem ist es, wie für Sigil üblich, undurchschaubar. Um es zu benutzen muß man denken: „Ich will ins Zentrum“.
Ungeduldig warten wir auf den Einbruch der Dunkelheit. Das Ziel liegt zum Greifen nah! Schon bald werden wir in Sigil sein, dem Käfig, der Stadt der Tore. In der Binge habe ich alles gelesen, was ich darüber finden konnte. Irgendwie hat es mich an unser Dorf erinnert - ein Ort, an dem alles, was auf dem Großen Rad zu Hause ist, anzutreffen ist. Es ist vielleicht ein nicht ganz so friedliches Beisammensein, aber dafür ist es dort auch bestimmt nicht so langweilig wie daheim.
Endlich wird es kühler, die Grillen beginnen zu zirpen und die Sonne geht unter. Wir schreiten unter den Bäumen hindurch...
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