Sonntag, August 13, 2006

Nur ein Traum?

Ächzendes Holz. Zersplitternde Schindeln. Berstendes Gebälk. Ein gewaltiges Krachen, das das Haus in seinen Grundmauern erzittern läßt. Trümmer regnen herab. Von der Straße dringt panisches Geschrei ungedämpft durch die klaffende Wunde im Dach.

Schmerz, gleißend hell und brennend, explodiert in Juvanis? Nacken und raubt ihr den Atem. Dann umfängt sie Dunkelheit...

Wie viel Zeit war vergangen? Tage, Wochen vielleicht. Oder auch nur Minuten. Sekunden, die sich unendlich lang hinzogen, wie die Fäden der klebrig süßen Füllung in den bunten Karamellen, die sie im Etablissement der Gith gekostet hatte.

Zeit. Nur ein Wort.

Schmerz? Nur eine seltsame Erinnerung.

Dann kommen die Bilder.

Manche verschwommen, manche ganz klar. Aus Vergangenem, vielleicht Zukünftigem. Realität und Phantasie, untrennbar verschlungen zu wunderlichen Geschichten. Wie das manchmal so ist, in Träumen.

Träumt sie etwa?

Juvanis steht im gelben Gras vor ihrem Dorf. Ihre Mutter steht beim Dorfältesten Imal, sie reden. Begor hockt neben ihr im Gras und weint. "Warum weinst du?" fragt sie ihn. Als er seinen Mund öffnet, hört sie Drakas Stimme antworten: "Verletzt. Komm zurück." Juvanis faßt sich in den Nacken. Feucht. "Komm zurück!" Diesmal ist es Furgas, dessen Stimme aus Begor spricht. Sie versteht nicht. Zurück? Da lacht er, springt auf, verwandelt sich in ein goldenes Wiesel und rennt davon.

Wirbelnde, zusammenhangslose Eindrücke: Vellum, der erst mit seiner Freundin, dann mit einem großen braunen Bären tanzt; der Duft von Veilchen; ein himmelhoher Berg, an dessen Hängen blutroter Seidenstoff wie Flüsse hinabfließt; wilde Tanzmusik und der Geruch einer Spelunke; ein feurig umrahmter Totenschädel, dessen Fratze den ganzen Himmel erfüllt, öffnet sein Maul, um alles zu verschlingen - hinter seinem Schlund jedoch erstreckt sich eine endlos weite Ebene.

Sie sieht dort einen Mann in einer grauen Kutte. Er schreitet auf ein großes, teerschwarzes Portal zu. Sein Gesicht sieht aus wie das von Detritor, doch Juvanis weiß, dass es Brenell ist.

In Träumen weiß man vieles. Vor allem, dass man seinen Augen nicht trauen kann.

Er dreht sich nach ihr um und verzieht den Mund zu einem Lächeln, welches spitze Zähne aufblitzen läßt.

Dann werden seine Zähne größer, immer größer, der Mund breiter und länger, zu einer Schnauze. Der graue Umhang wird hell, pelzig, und plötzlich steht statt Brenell ein Wolf vor ihr, die Lefzen hochgezogen und die Zähne gebleckt. Das schneeweiße Fell im Nacken gesträubt, die Ohren angelegt, sein Knurren wie ein dunkles Grollen aus den Tiefen des Abgrunds selbst. Sie stehen auf einer grünen Wiese. Es riecht nach frischem Honigbrot.

Plötzlich springt der Wolf, Juvanis duckt sich, doch sie ist gar nicht sein Ziel. Hinter ihr trifft der Wolf auf einen halbnackten Githyanki, der ein seltsam waberndes, schwarzes Schwert gerade zum Schlag erhoben hatte, und verbeißt sich in seine Kehle. Mit einem markerschütternden Heulen löst sich der Gith in Nichts auf. Der Wolf tapst schwanzwedelnd zu Juvanis und leckt ihre Hand. Feucht.

Das Bild verschwimmt, färbt sich bläulich. Der Himmel verschmilzt mit der Erde, und Juvanis schwebt in unendlichem Blau. Wasser. Sie kennt diesen Ort, obwohl sie nie dort gewesen ist. Die Stadt unter Tamra. Schwerelos gleitet sie durch das dämmrig fahle Naß, dunkle Schatten ziehen ab und zu über sie hinweg, huschen zwischen den Mauern herum. Sie kann atmen, und es wundert sie nicht einmal. Immer tiefer sinkt sie hinab, hat die untersten Gebäude schon hinter sich gelassen. Alles wird so still.

Juvanis...

Jemand flüstert ihren Namen. Oder hat sie es sich nur eingebildet? War das wieder Furgas' Stimme? Ein Sahuagin mit einem Dreizack aus Blumen schwimmt über ihr und sieht mit großen Fischaugen zu ihr hinunter. Sein breites Maul öffnet sich und er streckt flossige Finger nach ihr aus.

Komm zurück!

Es klingt wie Furgas. Aber sie will noch nicht gehen. Es ist so ruhig und friedlich hier. Als er sie berührt, fühlt sie plötzlich einen Ruck. Beißendes Licht zerreißt das stille Blau. Nein, nicht die Augen öffnen, noch nicht!

Doch schon ist er wieder da.

Der Schmerz. Dumpf, pochend und böse. Keine Luft mehr!

Juvanis! Komm zurück!!