Sigil
... und stehen in einer schmalen, dunklen Gasse unter einem rußgeschwärzten Arkadenbogen. Krumme Häuser neigen ihre Giebel wie neugierige Zuschauer über unsere Köpfe, rauchende Schlote steigen im Hintergrund in den Himmel und spucken dicken, schwarzen Qualm aus. Alles sieht recht schäbig und verbrannt aus. Ein paar Meter von uns entfernt scheint eine Hauptstraße zu verlaufen, dort drängen sich die - Massen.
Ein anderes Wort wäre unpassend. Riesige Echsenwesen schieben sich ebenso vorwärts wie Zwerge, Menschen, Vierbeiner und Wesen, die ich noch nie zuvor gesehen habe. Ein Tiefling mit Schwanz und Hörnchen wird an unserer Gasse vorbeigedrückt und wirft einen abschätzenden Blick auf uns, bevor er weitergeschoben wird.
Plötzlich schreit Elidan hinter mir auf. Er hängt an der Rückwand eines Hauses, die völlig überwuchert ist von einem schwarzen, weinartigen Rankengewächs. Klingenreben, erinnere ich mich an einen Absatz aus einem Buch. Ganze Straßenzüge wurden unbewohnbar durch dieses rasiermesserscharfe Gewächs; das einzige, was hier in Sigil wirklich gut gedeiht. Bösartiges Zeug. Wir befreien Elidan aus den Klauen der Pflanze und heilen die tiefen Schnittwunden, die sie hinterlassen hat.
Da wir nicht ewig in dieser engen Gasse bleiben wollen und es auf der Straße zuviel zwielichtigen Verkehr für meinen Geschmack gibt, steige ich auf, um mir einen Überblick zu verschaffen. Ich sehe ein riesiges Gebäude, aus dem die vielen Schlote aufragen und erkenne es als die Große Schmiede. Wir sind scheinbar irgendwo im Unteren Bezirk.
Eine baufällige Taverne mit Namen „Schwarzes Segel“ wird gerade von zehn monströsen Cornugons betreten. Das ist sicher kein geeignetes Etablissement für uns. Ich will gerade wieder landen, da sprechen mich zwei schwer Gerüstete an. Sie warnen mich davor, hier so einfach herumzufliegen, jemand könnte mich als Zielscheibe benutzen wollen. Ist es wirklich so gefährlich hier?
Ich danke den beiden freundlichen Herren und wie sich zeigt, haben sie ein Herz für Planlose. Dabei hatte ich so gehofft, langsam nicht mehr als Planloser zu gelten. Sie führen uns kurz am Schwarzen Segel vorbei, wo sie offenbar einen auf Furcht begründeten Respekt genießen, und bestätigen meine Meinung: das ist keine Taverne für unsereinen.
Sie laden uns statt dessen in eine bessere Örtlichkeit ein, es ist nur eine halbe Stunde weg, und dankbar nehmen wir an. Trotz der kurzen Strecke schaffen es Goin und Furgas, sich durch übermäßiges Getue (wie singen in celestisch oder irgendwelche unsichtbaren Auren) in Schwierigkeiten mit den lokalen Meuchlern zu bringen, und es ist nur der schnellen Reaktion unseres Begleiters Artur zu Verdanken, dass sie keinen Dolch als Souvenir mitnehmen - zwischen den Rippen.
Detritor ist von Arturs Faustklinge mächtig beeindruckt und kauft ihm seinen alten Handschuh ab. So ganz wohl ist mir beim Anblick dieses martialischen Dings nicht. Aber Goin hat es schon das Leben gerettet.
Tatsächlich wird die Gegend bald besser und wir stehen bald vor einem wahren Prachtbau, dem „Goldenen Adler“. Kronleuchter werfen facettenreiches Licht von den goldverzierten Stuckdecken, die Kundschaft ist wesentlich erlauchter als im Schwarzen Segel. Wir bekommen unser eigenes Separée und ein königliches Mahl, so etwas könnten wir uns nie leisten.
Artur ist weniger schweigsam als sein Freund Odo, er erzählt uns dass er aus Tiefwasser kommt, einem Ort auf derselben Materierwelt, von der auch Goin stammt. Da haben sie ja was zu erzählen. Auch er ist vor zehn Jahren durch Zufall hier gelandet, und seitdem hat er sich hier seiner „Mission“ verschrieben; dazu zählt auch, gelegentlich die Kundschaft des Schwarzen Segels aufzumischen. Von der Gilde der Schwertmeister des Ersten Tages hat er gehört, ebenso von Nym, den er angeblich von Solania kennt. Wenn wir mehr erfahren möchten rät er uns, uns von einem Schlepper zur Halle der Sinnsaten führen zu lassen, dort gäbe es gegen Bezahlung Informationen.
Odo ist die meiste Zeit über still. Als wir ihn ansprechen meint er, mit dem wahren Blick könne er sehen, dass wir anders wären, nicht das was wir zu sein scheinen. Seltsam. Ob das etwas mit unserer Herkunft oder dem Ritual zu tun hat?
Dennoch scheinen beide uns für harmlos genug zu halten, uns einen Platz in ihrem Haus anzubieten, was wir gern annehmen. Die beiden sind interessante Zeitgenossen und noch dazu wirken sie ehrlich genug um uns nicht heimlich nachts die Kehlen aufzuschlitzen.
Zwei Stunden später stehen wir vor unserer Herberge: ein vierstöckiges, kasernenartiges Gebäude mit vergitterten Fenstern, beinahe eine kleine Festung. Hans, ein älterer Materier, öffnet uns und weist uns ein Quartier im dritten Stock zu mit dem Hinweis, dass im Keller ein Baderaum bereit stünde. Riechen wir so streng?
Ich nehme den Wink mit dem Zaunpfahl jedenfalls ernst und begebe mich in den Keller. Es dauert nicht lange und Furgas taucht mit demselben Vorsatz auf; mußte sich wohl erst aus seinem Panzer schälen. Kaum dass er in den Zuber gestiegen ist, fliegt auch schon die Tür auf und der Rest der Meute hat beschlossen zu baden; langsam wird es mir zu voll hier. Schade, ich hatte gehofft, auf ein Wort mit Furgas allein zu sein.
Zurück in unserem Gemeinschaftszimmer will Elidan uns gegen nächtliche Störungen schützen, doch kaum dass er seinen Zauberspruch begonnen hat, taucht aus dem Nichts eine große, aufrechtgehende Katze auf und untersagt rüde die Anwendung jeglicher Art von Magie in diesem Hause. Als wir Hans auf diesen unfreundlichen Kater ansprechen, sagt er uns, dies sei ein Rakshasafürst, den die Herren gefangen und hier eingesperrt hätten, damit er für Ruhe hier sorgt. Kein Wunder, dass er so säuerlich ist.
Ein wenig unbehaglich scheint Elidan zwar zu sein, doch er besteht nicht weiter auf seinem Zauber und vertraut auf Hans' Versicherung, dass das Haus sicher sei.
Tatsächlich verbringen wir eine ungestörte Nacht in Artur und Odos Haus; Tag und Nacht wechseln sich hier sehr rasch ab, nicht wie in Ipkunis.
Nach einem kargen aber schmackhaften Frühstück beweist Artur Elidan auf eindrucksvolle Art und Weise, dass ein Alarmspruch in seinem Haus nicht nötig ist: Als jener nach einer Stunde wieder klar sehen kann berichtet er, dass das ganze Gebäude von Schutzzaubern und magischen Geflechten durchzogen ist. Hier kommt so einfach niemand ungebeten herein.
Wir verabschieden uns und lassen uns von einem der vielen Schlepper, die auf Sigils Straßen lautstark ihre Dienste anbieten, zur Halle der Sinnsaten führen: ein imposantes, braunes Sandsteingebäude, mindestens acht Stockwerke hoch. Durch einen langen Flur gelangen wir in der Mitte des Gebäudes zu einem riesigen Lichtschacht, der einen eindrucksvollen Blick auf die rundum verlaufenden Arkadengänge bietet. Hinter jedem Arkadenbogen scheint eine Tür in einen Raum zu führen.
Wir sind nicht die einzigen Besucher hier. Man weist uns höflich eine bequeme Sitzgruppe zu und nach einer Stunde Warten sind wir endlich dran. Ein junger, etwas gelangweilter Mann an einem großen Schreibtisch erklärt uns, dass wir ihm unser Begehr mitteilen sollen, dann würde er uns einem geeigneten Fraktionsmitglied zuweisen - gegen Bezahlung natürlich.
An Wissensdurst mangelt es uns nicht, und an offenen Fragen schon gar nicht.
Und so bekommt jeder Fragende einen Zettel mit einer Wegbeschreibung in die Hand gedrückt und begibt sich zu dem Experten, in der Hoffnung, etwas Neues zu erfahren. Eine Menge Gold wechselt den Besitzer, zum Teil für - wie ich finde - recht dürftige Informationen:
Über Dilus erfährt Luzija, das er ein freier Baatezu ist, der wohl auf der richigen Seite bei einigen großen Schlachten im Blutkrieg stand. Er jagd in seiner Freizeit gern Großwild, ist ein Trophäenjäger. Deshalb war er vermutlich auch hinter diesem großen Tausendfüßler her, als sie ihn zum ersten Mal traf.
Über die Mönche ist nichts zu erfahren, wohl aber über das Portal nach Barmak, falls wir ihre Spur verfolgen wollen. Es ist leider kostenpflichtig, und meine Finanzen sind noch immer mau. Schon damals hatte ich es mir nicht leisten können, daran hat sich nichts geändert.
Als Goin nach Brenell fragt ist es nicht nur teuer, sondern der Magister erfährt so gut wie nichts und wurde dabei scheinbar auch noch bemerkt. Wenn er weiter suchen soll, wird das sehr teuer und eine Weile dauern, doch Goin ist bereit zu zahlen. In zwei Tagen sollen wir wiederkommen.
Ich interessiere mich für diese Fraktionen, von denen ich nun schon oft hier gehört habe und nur so wenig in der Binge zu lesen war; besonders die Sinnsaten scheinen eine hochinteressante Philosophie zu vertreten. Diese Auskunft gibt es sogar kostenlos, und ich bin wirklich begeistert:
Sie glauben daran, dass das Multiversum dazu entstanden ist es zu erleben, und dass der einzige Weg wirklich zu spüren und herauszufinden dass man existiert ist, Erfahrungen zu machen. Versuche alles, und wirklich alles mindestens einmal, denn ohne Erfahrungen bist du nichts. Wenn du nicht das ganze Multiversum spürst, wie willst du jemals irgendetwas wissen?
Diese Einstellung gefällt mir so gut, dass ich mich spontan dazu entschließe, den Sinnsaten beizutreten. Dieser Tatendrang, Wissensdurst und die Offenheit gegenüber allem, was einem das Multiversum vorwirft, ist genau das, was auch mich antreibt. Ich bin so gespannt, mehr durch die Sinnsoriensteine zu erfahren und meine Erfahrungen zu teilen! Der Fall von Ipkunis in den Abgrund, seine Rettung und sein Aufstieg nach Arborea - wenn das nicht der richtige Stoff ist!
Doch zuerst müssen wir die Wartezeit für Goins Auftrag überbrücken. Ich erinnere mich an die eigenartigen Tätowierungen der Mönche und wir lassen uns von unserem Schlepper zu Sigils Meistertätowierer bringen: Fell.
Fells Jurte dient ihm als Atelier und Arbeitsraum zugleich; überall sind auf Holzrahmen Häute gezogen, geziert von kunstvoll verschlungenen Mustern und lebensechten Motiven. Ist das etwa elfische Haut? Ich hoffe ich irre mich.
Fell selbst entpuppt sich als ein Dabus: ein dünnes Männchen, das Gesicht nur entfernt menschlich mit spitzen Ohren, einem wallenden weißen Haarbusch und kleinen, gedrehten Hörnern. Er schwebt dicht über dem Boden und blickt uns an, doch anstatt zu sprechen erscheinen Symbole in der Luft über seinem Kopf. Reden sie so?
Ein Vorhang, der einen abgeteilten Raum verbirgt, wird beiseite geschoben und ein junges Mädchen tritt herein. Sie schaut sich die wirbelnden Symbole über seinem Haupt an und übersetzt dann für uns: willkommen Fremde in meinem Atelier.
Wir bewundern seine Kunstfertigkeit und stellen ihm einige Fragen. Er kann wohl besondere Tätowierungen fertigen, die ihrem Träger dauerhaft besondere Fähigkeiten verleihen. Zum Beispiel jemanden finden, dessen Konterfei einem auf die Brust tätowiert wurde - doch er verrät nichts über die Mönche, noch nicht einmal gibt er zu dass sie hier waren und die Arbeit von ihm stammt.
Seine Arbeiten sind durchaus verlockend, doch auch sehr teuer. Detritor verschwindet kurz mit Fell in dem Hinterzimmer und einen Moment lang frage ich mich, ob er tatsächlich genug Gold besitzt und sich jetzt ein Tattoo anfertigen läßt, doch kein neues Schreckensmotiv ziert seinen gestählten Körper als er wieder zurückkehrt. Jedenfalls nicht, wo ich es sehen könnte.
Zwei Tage später gehen wir wie vereinbart zur Halle der Sinnsaten, um Goins Informationen über Brenell abzuholen. Doch uns erwartet eine böse Überraschung: Der Magister ist ermordert worden, hier im Haus der Sinnsaten! Kein Schutzzauber und keine Magie hat es verhindern können, noch dazu ist es ein Schlag ins Gesicht, einen der Unseren hier zu töten.
Man will von uns wissen, worum es bei diesen Nachforschungen ging, doch Goin gelingt es sie davon zu überzeugen dass es besser für alle sei, wenn niemand mehr davon weiß, sonst geräte noch jemand in Gefahr. Das wird akzeptiert, aber man verbietet uns, zu diesem Thema weitere Anfragen zu stellen - der Mörder war einmal hier, er könnte jederzeit wiederkommen.
Da uns das Pflaster in Sigil langsam etwas zu heiß wird und wir außerdem keine weitere Spur zu verfolgen haben, ohne dabei die Sinnsaten in Gefahr zu bringen, beschließen wir, dass es an der Zeit ist, die Mönche genauer unter die Lupe zu nehmen. Dazu wollen wir uns dorthin begeben, wohin Ig'neas Vision am Gefängniswagen uns den Weg wies:
Zurück in die Binge Barmak und dort den Verräter finden!
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