Von Irkbatz nach Tamra
Detritor ist sehr schweigsam heute. Hoffentlich macht er sich mal Gedanken über sein seltsames Verhalten. Dafür sind Draka und Tagro wieder ansprechbar; sie ist fünf Zentimeter größer in neuem Schuppenkleid, und er hat endlich den Ausweg aus dem Labyrinth der ersten Ebene von Undermountain ausgetüftelt. Wie einen das nur so faszinieren kann?
Auf dem Weg zum Goldkuppelgebäude, welches laut Furgas der Tempel einer vergessenen Gottheit ist, passieren wir immer wieder diese eigenartig verdrehten Heuschreckenleichen. Wie unheimlich. Gerade als wir an einer Kuhle (eine Feuerstelle?), die so heiß gewesen ist, daß sie den Sandboden zu Glas geschmolzen hat, vorbeigekommen sind, erspähe ich vor uns eine näherkommende Verzerrung in der Luft - und eine grau gekuttete Gestalt. Das Wesen!! Wir hasten in Deckung, nur Ig'nea und Furgas bleiben stehen. Oh diese Torheit!
Es läßt sie jedoch unverdreht, und Furgas stammelt ein wenig verstört, dass es sich "Brenell" genannt habe, und seine Zähne seien wie spitz gefeilt und er habe ganz weißes Haar. Außerdem habe Brenell gesagt, dass "Vier am Tempel ihre letzte Schlacht gegen das Böse geschlagen hätten und von Chronos verraten worden seien". Das können nur Aldred und seine Begleiter gewesen sein! Dann ist er in die Richtung verschwunden, aus der wir gekommen waren. Ig'nea scheint die Begegnung besser zu verkraften, aber Furgas war ja schon immer etwas sensibel.
Wir eilen weiter, nur Minuten später entdecken wir etwas Gleißendes am Horizont. Als wir näher kommen, erkennen wir, daß wir am Ziel sind: vor uns, in einer quadratischen Senke, steht der Tempel mit der herausragenden, goldgekrönten Kuppel, die wir von weitem sahen. Da wir nur sieben Stunden haben, teilen wir uns auf: Einige von uns machen sich an der fast 50 Schritt hohen, gewaltigen Goldtür zu schaffen oder versuchen, durchs Dach einzudringen, doch ohne Erfolg. Luzija und Elidan suchen das von allen möglichen Kampfspuren vernarbte Buschland nach Aldred ab, und Draka gräbt nach Wasser. Offensichtlich lag der Tempel, zu dem vier große und viele kleine Kanäle und rundherum Treppen führen, auf einer künstlichen Insel. Tagro und ich studieren die kilometerlangen, erstaunlich gut erhaltenen Bildergeschichten, die den gesamten Tempel zieren:
Soweit ich das richtig verstehe, berichten sie von einer Zeit vor etwa 1000 Jahren, als es hier in den Beastlands im Wald ein Menschendorf gab (das ist ja an sich schon ungewöhnlich), dessen Bewohner "dem Bären" huldigte. Sie brachten ihm einmal im Jahr bei einer bestimmten Sternenkonstellation ein Menschenopfer dar, und er wandelte wie eine Lichtgestalt als Behüter unter ihnen. Das Dorf wuchs und gedieh, bis zum heutigen Ausmaß. Doch irgendwann wollten die Menschen plötzlich kein Opfer mehr bringen (all das erinnert mich an das Relief in dem ersten Haus), dachten vielleicht sie bräuchten den Gott nicht mehr. Schreckliche Katastrophen brachen daraufhin über sie ein: Schwärme riesiger Insekten fraßen die Ernte, fraßen die Menschen, viele starben, wenige flohen. Einige Kuttenträger hatten versucht, ein paar der wichtigsten Gebäude magisch zu schützen. Bei manchen war es ihnen wohl gelungen (ich erkenne den Leuchtturm, auch der Tempel selbst blieb von Natur und Insekten immer unangetastet), bei anderen nicht. Vielleicht hätte es nicht anders enden können; ich habe den Eindruck, dass die Menschen hier in der Tierebene das Gleichgewicht gestört haben.
Ich berichte den anderen von meinen Erkenntnissen, und auch Ig'nea erzählt, nach einigem Nachfragen in für mich verständlichen Worten, dass sie eine Art Vision gehabt hatte:
Sie hat gesehen, wie Aldred und seine Kumpanen keuchend zum Tempel gerannt kamen und das Portal zu öffnen begonnen hatten, schon freudig dass sie es geschafft haben - als Brenell hinter ihnen die Stufen erklimmt und ihre Stimmung in Verzweiflung umschlägt. Ein irrer Kampf entbrennt, die Vier wollen Brenell unbedingt vom Tempel fernhalten. Doch obwohl es vier gegen einen steht, tötet Brenell erst den großen Hageren, dann bricht Aldred zusammen, der kleinere von den zwei Riesen fällt, und er hätte sicher auch den letzten Riesen, der schon heftig golden blutete, getötet, wenn dieser ihm nicht seinen gigantischen Bihänder in die Brust geschleudert und anschließend mit einem Behälter davongerannt wäre. Daraufhin hat Brenell wütend und enttäuscht Aldred den Gnadenstoß gegeben, alles eingesammelt und ist dem Großen, Chronos, hinterher.
Also hat Brenell Furgas angelogen, Chronos war kein Verräter. Irgendetwas beschützen sie vor Brenell, daß der unbedingt haben will. Luzija will am liebsten hinter Chronos her, um ihm zu helfen (ihre neuentdeckte Nächstenliebe wundert mich; ich bin fast ein wenig stolz auf sie!), doch wir müssen uns eingestehen, dass wir ihm wohl keine große Hilfe gegen ein Wesen wie Brenell sein könnten. Außerdem sind die sieben Stunden um, also machen wir uns auf den Weg zum Portal.
Nach einem halben Tag entdecken wir einen großen, gar nicht verwitterten Steintorbogen, zu dem zwei Paar Spuren führen: der mir bekannte schmale, elegant-elfische aber schwer beladene Ballenläufer (Brenell), der geradewegs und ohne Eile durch das Portal schritt, und ein riesiges, dreikralliges Echsenklauenpaar, das es sehr eilig hatte, aber erst einen Schlenker machte, bevor es durchs Portal verschwand (Chronos).
Draka macht einen Durchflugversuch, scheitert jedoch. Begor klettert auf dem Portal herum und hat wohl einen Hohlraum entdeckt, Luzija und ich folgen Chronos' Spur und stoßen auf eine Heuschrecke mit eingeschlagenem Schädel. Ihr fehlt ein Tentakel. Ob das ein Schlüssel ist, wie uns die Zwerge gelehrt haben? Wir reißen uns ebenfalls eine Tentakel ab, gehen zurück zum Portal und schwups ist Luzija verschwunden! Ich berichte den anderen von dem Schlüssel, doch auf einmal fällt Begor vom Bogen, zum Glück kann Tagro ihn fangen.
Ich glaube kurz, etwas rundes Schwarzes in seinen Händen zu sehen, aber schon ist es weg. Plötzlich beginnt der Torbogen zu knirschen, er altert in Sekundenschnelle! Scheinbar ist der magische Schutz zerstört. Eiligst besorgen sich alle eine Tentakel und wir hasten durchs Portal.
Auf der anderen Seite...
... sind wir wieder zu Hause!!
Was für ein Schock. Wir stehen zwischen zwei hohen, verwachsenen Bäumen wieder in gelbem Gras, an einer Waldgrenze. Wir reißen uns zusammen, erinnern uns an Aldreds Warnungen und wenden uns nach links, in Richtung des kühlen Windes. In der Ferne steigt eine Rauchsäule auf, und unterwegs sehen wir auch wieder die riesige Säule.
Nach einem halben Tag treffen wir auf eine adrette kleine Hütte. Alles ist so hübsch aus Holz gedrechselt, ordentliche weiße Tischwäsche, ein frisches Blumenbouqet - und ein großer Spiegel, dessen Eisenrahmen wie schillernde, ausgeglühte Flammenzungen aussieht. Mir ist ein wenig mulmig bei dem Gedanken, mit welcher Ebene ein solcher Spiegel in Verbindung gebracht werden könnte, doch mein mutiger Furgas kann seine Finger natürlich wieder nicht im Zaum halten - und fällt einfach hindurch!
Das hat uns noch gefehlt. Ich versuche, die anderen abzuhalten ebenfalls Hals über Kopf durch dieses Portal zu gehen, wir sollten uns erst hier umsehen um einen Hinweis zu bekommen, wohin es führt und wie wir wieder zurückkommen, aber Tagro will unbedingt Furgas schützen. Macht ja Sinn, also lasse ich ihn durch. Auch Draka folgt ihm, doch keiner von ihnen kehrt zurück.
Luzija und die anderen durchsuchen die Hütte, doch als wir auch nach Stunden nichts finden außer Vorräten und Silberbesteck, lassen wir uns erst einmal zum Nachdenken nieder und fallen irgendwann in den Schlaf.
Ich werde wach als Draka mich an der Schulter rüttelt. Sie hat den Schlüssel für das Portal entdeckt, es sind Blumen! Natürlich. Sie berichtet, dass auf der anderen Seite eine ähnliche Hütte ist, die einem Elfen namens Vellum gehört, und diese hier gehöre seiner Freundin, die gern im Wald "spielen" geht. Aha. Und natürlich hatte sich Furgas wieder in irgendwelche Schwierigkeiten gebracht, die Draka aber ausbügeln konnte. Vellum wisse außerdem den Weg nach Sigil!
Also begebe ich mich ebenfalls durch das Portal und treffe auf diesen Vellum. Er ist ein Elf, unglaublich gut aussehend (und was noch schlimmer ist: er weiß es) und ein Champion des Corellon Larethian, großer Heerführer doch jetzt überzeugter Baumpflanzer (er hat mit der Hilfe eines befreundeten, mächtigen Magiers einen "Baumweg" erschaffen). Was für ein Mann!
Es zeigt sich, dass er ein äußerst charmanter und aufmerksamer Gastgeber ist, außerdem ein vorzüglicher Koch, und er scheint eine Menge aufregender, heldenhafter Abenteuer erlebt zu haben. Er erklärt mir, dass wir hier in den Außenländern sind, und die Hütte seiner Freundin sei genau an der Grenze zwischen Außen- und Tierländern. Ich hätte mich noch Stunden mit ihm unterhalten können, doch erst rupft mir Draka ein paar Federn aus (wie irritierend), Vellum springt auf und fordert Satisfak-irgendwas (ach wie süß!), und dann erscheint auch noch Ig'nea und irgendwie mögen sie Vellum nicht, glauben er habe mich angegriffen. Was geht hier eigentlich vor?!
Zum Glück klärt sich das Mißverständnis und wir beschließen, auf Vellums Freundin zu warten. Vielleicht kennt sie ein näheres Portal nach Sigil, denn das von Vellums Beschreibung liegt einige Monate entfernt. Doch daraus wird nichts, denn sobald Vellum von uns erfährt, dass ein Dunkelelf (Brenell) hier gewesen ist (Chronos übrigens auch, einer der elfischen Bauern hat dem Schwerverletzten angeblich geholfen), ist er mit wütender Mine auf und davon. Auch seine Freundin, die später mit Luzija durch den Spiegel tritt, tut es ihm gleich.
Da Warten wohl nichts bringt, hinterlasse ich Vellum eine Nachricht und dann machen wir uns auf zum einzigen Weg Richtung Sigil, den wir kennen: Drei Tage lang reisen wir über Vellums Baumweg, begegnen einigen Elfengehöften mit hilfsbereiten Bauern und einem strohgedeckten Turm, dessen Bewohner offensichtlich sehr eigenbrödlerisch ist, jedenfalls hat er ein ganzes Arsenal an Abwehrfallen auf seinem Grundstück angebracht. Am Ende des Wegs treffen wir auf einen komischen, etwas einfältigen Menschen, und dann wandern wir eine Woche lang durch einen dichten Wald, bis wir wieder ins Grasland kommen, das hier bis zu 5 Metern hoch wird! Die Rauchsäule ist jetzt auch viel größer und näher.
Nach elf Tagen haben wir eine eigenartige Begegnung mit einer fiepsigen Stimme, die mich irgendwie an Begor erinnert. Man will uns nicht passieren lassen und wirft mit Steinchen nach uns, doch als wir Vellums Namen erwähnen, dürfen wir passieren - nicht ohne dass man uns weiterhin neckt. Echte Spaßvögel.
Wir lassen die Gnome hinter uns, und nach 6 Tagen Fußmarsch treten wir an einer Böschung aus dem Grasland heraus an einen großen See. Wir haben Tamra erreicht! Wie befohlen umrunden wir den See mit dem Wind auf der rechten Seite. Die Stadt liegt, von einer dicken Mauer befriedet, im See eingebettet. Die Mauer soll gegen Feinde Tamras schützen, unter anderem liegt eine verlassene Stadt unter Wasser. Ob hier früher Meeresteufel, die Sahuagin, lebten? Oder noch immer?
Bevor man uns einläßt, was ohne weiteres nicht möglich ist für unsereins, müssen einige von eins ein Goldstück Pfand hinterlassen und bekommen dafür eine Art Mal in Form einer Tonscherbe in die Hand gedrückt. Nun können wir die Stadt betreten.
Sie ist in quadratische Blöcke, 10 mal 10, eingeteilt. Überhaupt alles hier ist sehr exakt und geometrisch, ordentlich beschildert, penibel sauber und aufgeräumt, selbst die Wagen sehen einheitlich aus. Man empfiehlt uns die Taverne "Zum lachenden Sahuagin" (die können lachen?), der Wirt macht jedoch eher einen unangenehmen Eindruck. Immerhin hat er Arbeit für uns! Ein wenig Geld in der Kasse könnten wir gut gebrauchen.
Hätte ich jedoch gewußt, was dieser schmierige Wicht unter "Arbeit" für mich versteht, hätte ich... naja... etwas sehr undamenhaftes mit ihm angestellt. Bringt der Ig'nea und mich doch glatt zu einer häßlichen, monströsen Githyanki in einen Puff!! Und ich Idiot bemerke es erst, als der nette "Gentleman" zu mir aufs Zimmer mitkommen will. Empörend. Was denken die, wer ich bin? Ein Engel für alle Fälle?! Hmpf.
Nun verdiene ich zwar wesentlich weniger, aber dafür mit ehrlicher Arbeit auf dem Bau als Heilerin. Und ich kann im Gegensatz zu Ig'nea noch sitzen. Hmm, das war jetzt gemein, aber der Gedanke an diese Githschlampe macht mich rasend.
Bevor wir Tamra endlich verlassen, wollen einige von uns den hiesigen "Weisen", das Schneiderlein, besuchen. Seltsamer Name für einen Gelehrten. Sein Haus ist auffällig, ein kleines windschiefes aber ordentliches Etwas. Das Schneiderlein öffnet uns - ein Gith! Na prima. Er bittet uns freundlich hinein und bietet uns seine Dienste an: Schneiderei, Begor greift zu. Offensichtlich ist das Schneiderlein schon uralt und langweilt sich ziemlich schnell, jedenfalls hat er schon jede Menge verschiedener Berufe zur Perfektion getrieben und dann wieder verworfen, als es keine Fortschritte mehr zu machen gab. Eigentlich sehr traurige Art zu leben.
Er erzählt uns von der Unterwasserstadt und wie gefährlich sie ist. Gerade ist Begors Lederrüstung fertig geworden (schnell ist er, das muß man dem Gith lassen), da zersplittert etwas über uns, das ganze Hause erzittert und angsterfüllte Schreie klingen von der Straße herauf...
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