Ich stehe auf dem, was von Ipkunis' Stadtmauer übrig geblieben ist: Verkohlter, schwarzer Stein. Noch immer klebt der faulig beißende Geruch von Schwefel an ihm.
Doch meine Nase wird umweht von frischer, klarer Morgenluft. Die lodernde Flammenglut ist der sanften Wärme einer gerade aufgegangenen Sonne gewichen, die durch einen strahlend blauen Himmel wandert und unter sich eine Landschaft weckt, die so makellos schön ist, dass mir Tränen in die Augen steigen.
Wir haben überlebt.
Wir haben tatsächlich überlebt.
Die Verluste, die wir zu beklagen haben, sind hoch. Der Preis für die Rettung der Stadt wurde mit Blut bezahlt, doch sie hat es geschafft. Dabei sah es anfangs gar nicht rosig aus...
Ipkunis war außer Kontrolle.
Hatte die Stadt schon früher gewisse chaotische Züge gezeigt, so hatten das mutmaßliche Verschwinden von Aldor Tatz und das Auftauchen der Flammen gereicht, um jegliche Ordnung endgültig zu ersticken. Der Handel erlahmte, jeder verbarrikadierte sich in seinen Häusern, Marodeure streiften durch die Straßen, Frauen wurden auf offener Straße entführt, kurz: Die Menschen von Ipkunis taten alles, um sich ihren Platz an diesem grässlichen Ort zu verdienen.
Dagegen anzugehen würde schwierig werden, doch wir beschlossen dem Abgrund den Kampf anzusagen. Auch unser Leben hing schließlich davon ab, wenn Ipkunis fiel, dann wir mit ihm.
Der Schild war vorerst unser einziger Trumpf, also befasste sich Luzija eingehend mit diesem seltsamen Gerät. Sie hatte ja bereits herausgefunden, wie man es mit magischen Dingen "füttern" konnte, wenn es überhitzte. Vielleicht würde es ihr gelingen, noch mehr darüber herauszufinden.
Derweil beschlossen wir anderen, dass Draka Aldors Stelle einnehmen müsste. Niemand hatte ihn so recht gekannt, und sie hatte ungefähr sein äußeres Erscheinungsbild. Für die Menschen würde es ein unübersehbares Zeichen sein, wenn der Totgeglaubte plötzlich wieder da wäre und nach dem Rechten sieht.
Gesagt, getan. Draka bekam einen weiten Kapuzenmantel übergeworfen und die Liste mit Delinquenten in die Klaue gedrückt. Was würde Aldors Anwesenheit besser beweisen als das Fortführen seiner Arbeit?
Anfangs halfen Elidan und ich noch bei der Suche nach den Übeltätern, doch schon bald fand Draka heraus, dass diese Liste ganz erstaunliche Eigenschaften besaß: wenn sie einen Namen darauf berührte, wusste sie sofort, wo die Person gerade steckte. Diese praktische Hilfe beschleunigte die Sache enorm (auch, dass Draka endlich von einer umständlichen Fangmethode absah, die meterlange Lederriemen involvierte, trug dazu bei) und ließ die Zahl der Vollstreckungen schnell wachsen. Jedes Mal strich sich der Name dann von alleine durch.
Doch es kamen ständig neue Namen hinzu! Leider, so stellten wir fest, waren auch unsere eigenen darunter. Und der eines alten Bekannten: Brenell Rean'ok. Diesen Namen werde ich mir gut merken.
Detritor, der am nächsten Morgen von einem ausgiebigen Tavernenbesuch zurückkehrt, findet einen Schlitz in einer Wand des Kubus'. In ihm stecken hunderte kleiner, gefalteter Zettelchen, auf denen die Menschen scheinbar eine morbide "Wunschliste" führen: Lieber Aldor, der Soundso war gemein zu mir, bitte beseitige ihn.
Egal wie oft wir die Zettelchen hineinholen, es kommen immer wieder Neue, von den Bürgern heimlich schnell und leise hineingestopft. Doch nicht immer kommt ein Name, der auf einem Zettel stand, auch auf Drakas Liste. Zum Glück, das hätte mein bisschen Vertrauen in die Integrität dieses Dings ansonsten vernichtet.
Ig'nea kehrt auch irgendwann zum Kubus zurück, sie war mit Sam bei Aldors Leichnam gewesen, der immer noch an die Stadtmauer genagelt hing. Sie hat herausgefunden, was geschehen war:
>>
Brenell, natürlich, hatte Aldor getötet. Jener war wohl gerade am Stadttor im Gespräch mit ein paar kleinen Leuten gewesen, als Brenell herangerast kam, seine Klaue ergriff und ans Tor pinnte. Aldor, der so vorsichtig darauf geachtet hatte, nicht selbst aus dem Tor herauszutreten, konnte nun nicht mehr hinein entschlüpfen. Alle Befreiungsversuche blieben erfolglos, das dunkle Schwert rührte sich keinen Millimeter und Brenell schlachtete ihn fast mühelos ab.
Kurz zuvor hatte Ig'nea gesehen, dass Brenell an das offene Tor herangetreten war und unsicher daran langte, scheinbar um etwas zu prüfen, und sich dann freute als hätte er das Geschenk seines Lebens bekommen.
Noch weiter zurück sah sie einige Drachenwesen mit einer Ramme gegen das Tor stürmen; eine lange Schlange entzürnter Wartender, die vor dem Tor Einlaß begehrten doch draußen bleiben mussten; und wieder die kleinen Leute, die sich einen heftigen Streit mit Tatz liefern.
<<
Wir bergen Aldors Leichnam vom Tor und bringen ihn in den Kubus. Ein Schwert bleibt jedoch stecken und gibt sich von unseren Kraftanstrengungen völlig ungerührt. Goin sieht es sich an und meint schließlich schulterzuckend: Der Nagel nagelt Dinge fest.
Ich glaube die Hitze bekommt dem Kleinen nicht.
Ig'nea und Detritor finden schließlich mehr heraus: Die letzten sechs Male, bei denen das Schwert benutzt worden war (meist in ähnlicher Weise wie hier), hatte es Brenell geführt. Es besteht aus kaltgeschmiedetem Adamant, was eigentlich fast unmöglich ist. Dieses Schwert muß von einem Meister geschaffen worden und (hoffentlich) einzigartig sein.
Da tritt Luzija zu uns, um über die Ergebnisse ihrer Untersuchung zu berichten: Die Maschine erzeuge ein Kraftfeld, das alles fernhält was aus den Neun Höllen, dem Abgrund oder Gehenna kommt - also aus den Unteren Ebenen. Dafür nutze es entweder Magie direkt, oder aber Lebenskraft, die es in Magie umwandelt - eine recht frevelhafte Art, um an Energie zu kommen.
Als sie das Schwert im Tor stecken sieht, meint sie: "nettes Schwert" - und zieht es aus dem Holz als wäre es Butter!
Eigenartig. Mich beschleicht das Gefühl, dass diese Waffe vielleicht noch übler ist als wir befürchtet hatten. Jede Wette, dass Brenell sie wiederhaben will.
Wir bemerkten die ersten Veränderungen in der Stadt. Wie erwartet war den Leuten die "Arbeit" von Tatz nicht entgangen, und erste Hoffnungsschimmer traten zaghaft hervor.
Es wurde auch Zeit, denn langsam ging uns das Futter für die Maschine aus.
Einigen von uns schien die Situation sicher genug, um ausgiebige Einkäufe zu tätigen. Angeblich unter dem Vorwand, den Handel in der Stadt wieder aufleben zu lassen. Manchmal verstehe ich meine eigenen Freunde nicht; wie schaffen sie es nur, ihre Augen zu verschließen gegenüber dem Leid und der verzweifelten Suche der Menschen hier nach Führung in Sicherheit? Oder gegenüber dieser imposanten, allumfassenden Feuerwand?
Die folgenden Tage verbrachten wir damit, die Stimmung der Bevölkerung weiter zu verbessern und die Straßen von Ipkunis sicherer zu machen:
Draka arbeitete die Liste ab, Goin und ich zogen von einer Taverne in die nächste, schließlich fanden sogar ganze Umzüge statt, und seine aufmunternden Lieder spendeten gleichermaßen Trost und Mut. Ich sorgte für eine Armenspeisung, um den Gemeinschaftswillen zu stärken, Elidan setzte sich tatkräftig für den Bau eines Tempels ein. Der Glaube an die richtende Hand Aldors gab den Leuten zusätzlich Hoffnung, dass das letzte Amen noch nicht gesprochen war und es wurde wirklich langsam wieder geordneter, sicherer in der Stadt. Zumindest konnte man als Frau wieder allein auf die Straße, ohne verschleppt zu werden.
Ig'nea und Detritor schafften es sogar, eine Audienz bei Clara Herzblatt, einer reichen Gönnerin der Stadt, zu erlangen und überzeugten sie, dass - so absurd das auch auf den ersten Blick erscheinen mochte - jetzt der richtige Zeitpunkt für ein Fest sei.
Vielleicht lag es an Detritors breiten Schultern, doch sie hielt Wort und stellte zusammen mit Brenn Wissanek, dem zweitreichsten Händler, eine große Feier mit Musik, Wein und Tanz auf dem großen Marktplatz auf die Beine.
Während die Stadt so ausgelassen feierte, bemerkten wir in dem uns noch immer umgebenden Inferno zwei Scheusale, lederbeschwingte Wesen, die kopfschüttelnd das fröhliche Treiben beobachteten.
Sie sollten sich noch viel mehr wundern, denn Draka hatte ihren großen Auftritt:
Als Tatz verkleidet flog sie über die jubelnde Menge, begleitet von Goins Musik, und ließ wie zum Beweis ein paar Seiten der „abgearbeiteten“ Liste heruntersegeln.
Erneut war Ipkunis außer Rand und Band. Doch diesmal war es nicht das ungezügelte, zerstörerische Chaos, sondern gemeinsame Freude, Dankbarkeit und Hoffnung, die das Volk zu Sprechchören animierte: Führe uns!
Draka hatte Bedenken. Sie wollte die Leute nicht belügen, nicht Regent sein.
Ich verstand ihre Sorge, doch Ipkunis war zu weit gegangen um jetzt noch mit Mittelmaß gerettet werden zu können. Es musste eine Führung her, ein massives Bollwerk gegen das Chaos.
Zuerst versuchte sie noch, der Verantwortung zu entkommen und Clara oder Wissanek als Anführer einzusetzen. Doch als sie sie in weiser Voraussicht nach ihren Wunschtiteln fragte, kamen sie mit Ansprüchen wie "Gottkaiser" und dergleichen. Da war auch ihr klar, dass diese beiden Ipkunis nur vom Regen in die Traufe bringen würden. Bestenfalls.
Also traf Draka endlich die wohl bedeutsamste Entscheidung ihres Lebens:
Nachdem das Volk immer nachdrücklicher nach einer starken Führung verlangte und sowohl Clara wie auch Brenn aufgrund ihrer unstillbaren Machtgelüste ihre Chancen auf Regentschaft verspielt hatten, sprang Draka endlich über ihren enormen Schatten und präsentierte sich als Aldor Tatz - neuer Regent von Ipkunis.
Das Volk jubelte, es war erhebend, solche Begeisterung und Freude ob der neugewonnenen Ordnung zu erleben; anfangs hatte ich selbst gezweifelt, ob das überhaupt noch möglich sei, doch die Stimmung hatte sie jetzt merklich gebessert. Waren nicht sogar die Flammen ein wenig kleiner geworden? Doch das lag vielleicht nur am momentanen Glücksgefühl.
Draka tat, was das Volk verlangte. Sie erließ Gesetze und ging weiterhin der Aufgabe ihrer Liste nach.
Auch wir anderen taten nach Kräften was wir konnten um das Blatt zu wenden, doch auch nach zwei weiteren Tagen umgab uns die Flammenwand. Nur die scheußlichen Fratzen darin wurden mehr und mehr, und die Maschine verbrauchte ihre Energie immer schneller.
Und als hätte das Schicksal nur auf diesen Moment gewartet, trat auf einmal ein vermeintlicher Retter auf uns zu: Luzija berichtete von einem Dunkelelfen, der ihr für ein Goldstück angeboten hätte, uns alle von hier wegzubringen, wohin auch immer wir wollten.
Ich bin ein Kind des Dorfes. Dort leben alle möglichen, teils widersprüchlichen Wesen friedlich zusammen. Man könnte also sagen, dass ich wenig Vorurteile hege; doch meine Erfahrungen mit Dunkelelfen bisher bewogen mich sofort dazu, diesem gönnerhaften Angebot zu misstrauen.
Noch dazu hätte es bedeutet, Ipkunis aufzugeben an einem Punkt, an dem es besser lief als je erhofft. Dazu war ich nicht bereit.
Goin und ich machten uns daher auf den Weg zum Marktplatz, um den noch immer dort Versammelten erneut Mut und Gemeinschaftswillen zu stärken, während Luzija mit Ig'nea, Detritor und Elidan zu dem Dunkelelfen gingen, um sich sein Angebot bestätigen zu lassen.
Elidan erzählte mir später, wer unser Gönner war. Als hätte ich es mir nicht denken können: Brenell.
Eine Stimme in mir wollte mich auf etwas hinweisen, vielleicht warum er uns helfen würde oder was er hier will, doch ich hatte keine Zeit hinzuhören.
Vielleicht war das ein Fehler.
Später im Kubus traf ich bei den anderen auf einen kleinen Kerl namens Rinpi. Er kam aus der Luke im Boden geklettert, die Maschine glühte schon wieder. Offensichtlich hat er einen Zauber, der ihn vor den Energien der Maschine schützt. Er meinte, die Maschine sei in Ordnung, aber für die Dauerbelastung nicht ausgelegt; Horden von Dämonen brandeten seit Tagen wie Wellen am Strand unaufhörlich gegen den Schild. Lange würde er das nicht mehr durchhalten.
Rinpi kannte offenbar als einziger nicht nur die Maschine, sondern auch Aldor persönlich, denn er durchschaute Drakas Maskerade; hielt es aber für eine gute Idee. Er erwähnte zwei Männer, die nach irgendwelchen Waffen befragt hätten, doch er habe nichts verraten - wir erkannten in der Beschreibung zwei auffällige Gestalten wieder, die draußen vorm Kubus standen!
Einer trug eine silberne Plattenrüstung mit feinen Goldintarsien, der zweite eine schwarze Drachenschuppenrüstung. Etwas in seiner Aura machte mich stutzig; es war, als ob sich drei Schatten über seine ansonsten reine Seele gelegt hätten, ob es da einen Schandfleck in seiner Vergangenheit gab?
Noch während ich überlegte, hatte Ig'nea bereits einen Erstkontakt hergestellt, indem sie mittels Psi einige seltsame Gegenstände um den Fremden herum neutralisierte. Begeistert war er nicht, aber da die beiden keinen feindseligen Eindruck machten, kamen wir schließlich ins Gespräch.
Tatsächlich fanden sie in Aldor’s Kubus die Waffe, nach der sie gesucht hatten: Steinschneider. Mit viel Mühe brachten sie sie von der Wand los. Damit wollen sie in Irkbaz in die versiegelten Türme eindringen. Wenn das mal gut geht. Fragte mich noch immer, was mit dem Drachengeschuppten nicht stimmt.
Doch sie erklärten sich aus Dankbarkeit bereit, uns in Ipkunis zu helfen, glorreiche Kämpfe scheinen sie zu mögen. Ob das Planlose sind?
Sie erzählen, dass auch ein Quarut in der Stadt sei, ein Maschinenwesen von der Ebene Mechanus. Er sei hier, weil die Integrität der Ebenen gestört worden sei und es will den Fehler auszumerzen, der dafür verantwortlich ist.
Mit Fehler kann ja wohl nur Brenell gemeint sein.
Als wir den Quarut finden, teilen wir ihm mit, dass sich Brenell da draußen befindet und man ihn mit einem Steinwurf rufen kann - das tut das arme Ding dann auch, überzeugt, ihn "ausmerzen" zu können.
Nun, es läuft leider nicht ganz so, doch wir wissen nun mit Sicherheit: dieser Brenell besitzt doch wirklich die Frechheit, die ganze Zeit draußen vor dem Tor zu warten, während wir hier schmoren!
Während Luzija auf der Suche nach magischen Gegenständen für den Schild in der Magierakademie verschwindet (aus der es wenig später kracht, knallt, splittert - und dann kommt sie mit zwei halbnackten, sie umschwänzelnden Magiern wieder raus), unterhalten wir uns noch etwas mit Belgad, sein Freund ist eher schweigsam.
Sie trinken Tee mit uns und halten ein gemütliches Schwätzchen, als wär es hier der gemütlichste Ort der Welt. Wir wären zu verspannt, deprimiert, sollten doch mal ein bisschen fröhlicher sein. Der hat gut reden, ist selbst auf der Flucht vor seiner Vergangenheit und predigt uns was von Friede und Freude. Auch Sam findet das befremdlich.
Schließlich begeben wir uns zum Marktplatz. Dort haben sich viele Menschen versammelt, Detritor und seine Barbarenfreunde, Goin singt seine inspirierenden Lieder von ruhmreichen Schlachten und großen Heldentaten.
Alle magischen Gegenstände aus Aldors Kubus sind aufgebraucht.
Hinter dem Schild toben Horden von Dämonen und rennen gegen den Schild an, er flackert.
Ich werde plötzlich ruhig und zornig zugleich. Sollen sie kommen! Tagelang haben wir um Ipkunis gerungen, für Recht und Ordnung. Vielleicht hat es ausgereicht, vielleicht auch nicht; doch hier stehen wir, Hunderte, vielleicht sogar Tausende, die sich uns angeschlossen haben. Und egal, was das Ende des heutigen Tages bringen wird: wir haben uns nicht kampflos ergeben.
Der Schild bricht.
Kurz reißt ein blauer Himmel über uns auf, die Flammen sind noch immer da.
Dämonen ergießen sich über die Mauer, Hitze schlägt uns entgegen.
Wir fassen Schwert, Bogen, und ein jeder wappnet sich für das letzte Gefecht. Doch da beginnt plötzlich Sam, Ig'neas bescheidener Freund, der stumme Sam - zu singen.
Mir ist, als ränne flüssiger Frieden wie goldener Honig durch meine Seele.
Jeder Gedanke an Kampf ist verloren. Wozu? Dieses wunderschöne Lied allein ist es, was zählt.
Ich verliere mich in diesem überirdischen Klang, leiste keinen Widerstand, es ist zum Sterben schön.
Auch die Dämonen haben innegehalten. Wirkt das Lied auch auf sie? Was hält sie davon ab, zuzuschlagen, wo wir doch wehrlos dastehen, gefangen von Sams Gesang? Es kümmert mich nicht. Nichts ist mehr wichtig. Nur das Lied.
"Haltet den Schild", höre ich Sam rufen, doch auch wenn ich mich kurz von den Fesseln seines Lieds lösen kann, schaffe ich es nicht bis zum Kubus.
Langsam sinke ich zu Boden, meine Kräfte schwinden. Dieses Lied, dieses wunderschöne Lied.
Um mich herum fallen immer mehr Menschen, stumm, ohne Klage.
Wo sind die anderen? Ich weiß nicht. Es ist auch nicht wichtig. Ich könnte hier sterben und wäre zufrieden damit.
Auf einmal geht ein Ruck durch uns.
Zum Glück habe ich längst die Augen geschlossen, es fühlt sich an, als würde Ipkunis von einem gigantischen Katapult in alle Richtungen gleichzeitig geschleudert, es klingelt in meinen Ohren.
Sams Gesang ist verstummt.
Als ich die Augen öffne, blicke ich in einen blauen Himmel.
Die Flammen sind fort, ebenso wie die Dämonen. Um mich herum schlagen Menschen die Augen auf, doch es sind so wenige - viele haben, von diesem zauberhaften Lied beseelt, alles vergessen; sogar das leben.
Auch ich wäre beinahe entglitten, hätte Sam auch nur eine Minute länger gesungen.
Noch ein wenig benommen helfe ich den anderen, so viele wie möglich zu retten. Erstaunte Blicke wandern zum Himmel, in die neue Landschaft um uns herum.
Ein paar Menschen rufen sogar wieder nach Tatz, danken für die Rettung. Trotz der schrecklichen Verluste und der Tatsache, dass wir nicht so wirklich nach Hause gekommen sind, hat sich unsere Lage doch enorm verbessert.
Und so stehe ich nun hier.
Ipkunis ist mitten auf einer üppigen, grünen Wiese gestrandet, in der Ferne sehen wir dichte Wälder, soweit das Auge reicht. Arvandor, die erste Ebene auf Arborea, erinnere ich mich an den Unterricht in Ebenenkunde.
Nun, es hätte schlimmer kommen können, denke ich bei mir. Zumindest wird man uns hier nicht gleich bei lebendigem Leib rösten. Brenell wird uns ohne Zweifel verfolgen; was immer er mit Ipkunis vorhatte, es ist nicht geglückt.
Und wir haben etwas, das ihm gehört. Ich lächele in den Wind. Er fängt sich leise raschelnd in meinen Flügeln, flüstert mir etwas zu. Mein Lächeln wird breiter. Oh ja, das hatte ich fast vergessen. Ich entfalte meine Schwingen.
Der Himmel hat mich wieder.
0 Comments:
Kommentar veröffentlichen
<< Home