Ein Riß im Raum
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Erst als der gute alte Hans die schwere Tür von Arturs Haus hinter uns schließt wagen wir es, tief durchzuatmen. Auch Furgas’ Anspannung weicht sichtlich, und bei einem kargen aber guten Mahl erzählt er uns, wie es ihm gelungen ist, uns aus dem Totenreich zu retten:
Die magische Explosion hatte uns und einen Teil der Beastlands pulverisiert, einzig Dorn war es zu verdanken, dass Furgas mit dem Leben davonkam. Er begab sich also nach Sigil (wie er das nackt geschafft hat verschweigt er bis heute hartnäckig), bat Artur um Hilfe, und jener kannte diesen Abishai in der Grauen Einöde. Da der jedoch seine Arbeit versilbert sehen wollte und auch das Erweckungsritual selbst eine kostspielige Angelegenheit war, sah sich Furgas gezwungen, in Ipkunis zu Clara Herzblatt zu gehen. Für die Zusage einer lebenslangen Steuerfreiheit erhielt er das benötigte Gold und so konnte er uns ins Leben zurückholen.
Natürlich loben wir ihn gebührend für diesen guten Einfall; außer Goin, der tatsächlich den verlorenen Einnahmen nachtrauert.
Ein Problem ist jedoch die Tatsache, dass all unser Hab und Gut verloren ist, das schmerzt jeden von uns. Die andern trauern um Zeit, Gold und Mühe, doch ich muß den Verlust meiner tierischen Gefährten verarbeiten: Mein treuer Adler, das süße kleine Limlim, und mein stolzes Ur’Epona - alle im Himmel der Tiere. Vielleicht sollte ich mir ein neues Limlim kaufen, das wäre schön.
Furgas überreicht Luzija zu ihrer Überraschung den magischen Stab, mit dem wir damals in Ipkunis die Maschine gefüttert haben. Der habe die Explosion ebenfalls überlebt und auf dem Boden des Kraters gelegen, meint Furgas. Scheint ein wirklich mächtiger Stab zu sein.
Von diesem kleinen Erfolg ermuntert schlägt Luzija vor, auf die Suche nach unseren Habseligkeiten zu gehen, vielleicht gibt es ja noch eine Chance. Da eine Zeitreise nicht in Frage kommt (wie sich zeigt wäre das zwar theoretisch möglich, meint Elidan nach einem endlosen unverständlichen Monolog, aber viel zu gefährlich - und teuer), bitten wir wieder einmal Artur um Rat.
Er empfiehlt uns, es in Mechanus zu versuchen. Wenn jemand etwas über eine derart große Veränderung im Gefüge der Ebenen wüsste, dann die ordnungsfanatischen Modronen, die über die Integrität der Welten wachen. Dunkel erinnere ich mich an den unglückseligen Quarut, der in Ipkunis nach dem „Fehler“ für dessen Absturz in den Abyss suchte und zerfetzt wurde, als er ihn fand.
Ja, Mechanus klingt nach einer sehr guten Adresse.
Schnell wird uns jedoch klar, dass die meisten von uns keine große Chance hätten, dort lange zu überleben. Ig’nea ärgert es zwar, dass ausgerechnet sie da am wenigsten verloren hat, aber sie sieht es schließlich ein, und so verlässt uns Furgas anderntags mit dem Auftrag, herauszufinden, was aus dem entschwundenen Teil der Beastlands geworden ist.
Er wird uns später erzählen, wie schwer es wirklich ist, in Mechanus die zahllosen Regeln und Vorschriften nicht zu verletzen - von der Benutzung der richtigen Straßenseite über das Ausfüllen dutzender Anträge und Formulare bis hin zum korrekten Lauftempo.
Derweil haben wir anderen die Zeit in Sigil für unsere eigenen Unternehmungen genutzt. Alceron verdingt sich als Kopfgeldjäger um seine Kasse aufzubessern, ich begebe mich mit Jarvis auf eine Materierwelt und wir fangen drei Ur'eponas, die wir zur Zucht nach Ipkunis bringen.
Als wir nach vier Tagen zurückkehren, berichtet uns Luzija, dass sie mit Goin und Ig'nea die Gilde der Schwertmeister vom ersten Tag besucht hat! Was sie über diesen Besuch erzählt, erstaunt mich doch sehr.
Scheinbar feiern diese unglaublich mächtigen Wesen aus lauter Langeweile eine Party nach der anderen. Die sind ja schlimmer als die Sinnsaten! Und auf diesen Feiern vergnügen sie sich mit allerlei seltsamen Spielen, offenbar ganz nach Ig'neas und Luzis Geschmack, wenn ich ihr Grinsen richtig deute.
Luzija hat es also endlich geschafft, Dilus aufzuspüren; hoffentlich haben die Sehnsuchtsausbrüche, mit denen sie uns seit ihrer Begegnung im Grasland immer wieder überfiel, damit ein Ende. Während die beiden sich absetzten tat Goin, was er am besten kann: plaudern.
Mit einem einer weißen Statue ähnelnden Typen namens Serath hat er sich eine ganze Weile über alles Mögliche unterhalten: Die Mitgliedschaft in dieser Gilde, welche an schier unglaubliche Bedingungen geknüpft ist (wie zum Beispiel auf mindestens einer Welt als Gott verehrt zu werden oder tausend Jahre alt zu sein), die Sterblichkeit der Götter, die Fernen Reiche.
Letztere weckten natürlich Goins besonderes Interesse. Serath meint, diese Reiche seinen giftig für diese Seite der Realität, so eine Art Nichtexistenz. Doch wenn er mehr erfahren will, soll er in einer Woche wiederkommen.
Auch wenn es mich erstaunt, selbst Luzija hat nicht nur an ihren eigenen Vorteil gedacht: Dilus hat ihr verraten, wo wir den Schmied finden können, der diese eigenartigen Waffen herstellt, von denen wir bereits zwei besitzen. Er sei bei Gond im Haus des Wissens, welches sich in Abellio befindet - der ersten Ebene Arkadiens. Auf die Reise zu dieser Ebene freue ich mich schon jetzt!
Doch das muß noch warten, denn endlich kehrt Furgas aus Mechanus zurück. Er berichtet von dem langen umständlichen Weg, der ihn nach Regulus führte, wo er erfuhr, dass das Ereignis in den Beastlands gespiegelt wurde. Wie er sich daraufhin zur Spiegelhalbebene der Nerra aufmachen wollte, jedoch am Portal von einem Modronen daran gehindert wurde, da man das Portal aus Sicherheitsgründen versiegelt hatte. Angeblich hätten die Nerra versucht, die Macht an sich zu reißen und aus ihrer Halbebene in unsere Welt zu fliehen.
Wir stellen Nachforschungen bei den Sinnsaten an und erfahren so, dass es tatsächlich eine Welt zwischen den Spiegeln gibt. Die dort lebenden Nerra können jeden Spiegel wie ein Fenster zu uns nutzen, was sie zu ausgezeichneten Spionen macht. Allein der Gedanke, durch Spiegel zu schreiten wie durch eine Tür! Ich muß an den seltsamen Spiegel in Vellums Hütte denken. Ob das auch so einer war?
Gelehrte munkeln allerdings, es einen triftigeren Grund als Machtgier dafür gibt, dass die Nerra ihre Welt verlassen wollen. Was das wohl heißen mag? Welche Gefahren lauern hinter der polierten Oberfläche?
Kurzerhand postiert sich Luzija vor einem Spiegel in Arturs Haus und beginnt mit ihm zu reden. Erst denke ich sie hat nicht mehr alle Ebenen im Großen Rad, doch plötzlich klirrt eine kleine Glasscherbe zu Boden, auf der in Spiegelschrift geschrieben steht: „geh schlafen“.
Sie legt sich auch schlafen, sorgt jedoch vorher dafür, dass das Kätzchen, der unsichtbare Rakshasafürst, in ihrem Zimmer Wache schiebt. Keine schlechte Idee, denn in den frühen Morgenstunden des nächsten Tages steht plötzlich ein Nerra in schwarz-roter Robe im Raum! Ein Mensch, dessen Haut aussieht als bestünde sie aus Spiegelglas, ohne Augen, der alles um ihn herum zurückwirft wie eine verzerrte Verkehrung.
Der Nerra ist zwar nicht erfreut über diesen Empfang, doch er verrät Luzija, dass unsere Habseligkeiten tatsächlich in der Ebene zwischen den Spiegeln gelandet sind, bei einem verfeindeten Nerraclan. Er will uns jedoch nur mit Informationen versorgen, wenn wir als Gegenleistung fünf Spiegel an Orten seiner Wahl aufstellen und Luzija ihm einen ihrer teuren Gegenstände überlässt. Sollten wir das akzeptieren erwartet er uns kurz vor Sonnenaufgang in Crassis Spiegelkabinett am Jahrmarkt.
Die Entscheidung ist schnell getroffen.
Im schummrigen Dunkel der Nacht verabschieden wir uns von Artur. Ein wenig nachdenklich sieht er aus, murmelt noch etwas davon dass wir langsam aufsteigen würden, doch wahrscheinlich meint er damit nur dass wir uns immer mehr Ärger einhandeln.
Eilig gehen wir durch Sigils Straßen, die selbst um diese Zeit nicht menschenleer sind. Wieder führt uns der Weg in den Stock, wo der „Jahrmarkt“ seine Heimat hat. Den habe ich mir anders vorgestellt, eher wie ein Fest der Sinnsaten, doch hier ist das ins Gegenteil verkehrt: heute wirkt der Stock düsterer und bedrohlicher als sonst, die Gegend ist noch übelriechender als die bei der Pranke. Wieder fällt mir der Vergleich ein, dass wir uns hier unten durch Sigils stinkende Innereien winden. An diesem Ort nur mit einer Robe bekleidet zu sein trägt nicht gerade zum Wohlbefinden bei.
Wir langen schließlich an der verfallenen Bruchbude an, über deren fehlender Tür die Reste einer morschen Holztafel verkünden: „Crassis Spiegelkabinett“.
Vorsichtig treten wir ein. Leere Wände, der Boden verdreckt und von Scherben übersät. Unsichtbare Ratten fiepen und scharren unter den Bohlen. Elidan bückt sich und dreht sinnend eine der Scherben in den Händen, dann murmelt er ein paar Worte und wie durch Zauberei fügen sich die Splitter zu einem intakten Spiegel zusammen. Furgas malt mit dem Finger ein C darauf, und plötzlich beginnt der ganze Spiegel zu summen! Er macht einen beherzten Schritt auf ihn zu - und verschwindet darin.
Eilig stecke ich mir eine der übrigen Scherben ein, dann folge ich den anderen durch den Spiegel.
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