Unauffindbar - oder nicht?
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Arthur verschluckt sich beinahe an seinem trockenen Brotkanten, als Furgas mir den Antrag macht. Auch die anderen sind nicht um Kommentare verlegen, Elidan scheint das ganze für eine weitere Kinderei zu halten und drängt darauf, sich endlich wichtigen Dingen zuzuwenden, wie nach Ipkunis zurückkehren und das Ritual durchführen.
Sind heute morgen denn alle verrückt geworden?
Ist das Feuerteufelchen etwa eifersüchtig? Bloß weil sie keiner heiraten würde, muß sie mich nicht gleich so ankeifen, ich kann schließlich nichts dafür dass Männer sie nur für das eine nehmen.
Das war wohl keine so gute Antwort; sie läßt es sich nicht nehmen, mir haarklein unter die Nase zu reiben, wie sie Furgas zum Fliegen gebracht hat. Aber im Grunde hatte ich es ja schon geahnt. Nur hätte ich es ihm nicht zugetraut, nicht nach seiner Wandlung.
Ipkunis bietet einen imposanten Anblick. Die Stadt ist gewachsen, seit wir sie zum letzten Mal sahen, der weiße Turm mit etwa hundertfünfzig Schritt leuchtet uns schon von weitem entgegen. Unsere Ankunft wird von der Bevölkerung mit großer Freude gefeiert, man bereitet uns einen wirklich heldenhaften Empfang! Die Stadt hat sich wirklich zu ihrem Vorteil entwickelt. Auch die umliegenden Dörfer profitieren von Ipkunis und gedeihen.
Der Park erfreut sich bei der Bevölkerung besonderer Beliebtheit, er nimmt einen Großteil der Stadtfläche ein und Teile von ihm sind mittlerweile ebenso wanderfreudig wie manche Straßen hier. Endlich wieder grüne Wiesen, Bäume und ein blauer Himmel! Erst jetzt merke ich, wie sehr mir das im staubigen, gelblich-kranken Dunst von Sigil doch fehlt - fast so sehr, wie mein treuer Adler, der wieder zu mir zurückgefunden hat, kaum dass wir das Portal durchschritten hatten.
Vorerst stürze ich mich in Arbeit. Wir begeben uns zu dem weißen Turm. Er hat nun eine etwas ausgefeiltere Form, mit einer vierstöckigen Fensterreihe im oberen Bereich und sogar einer angedeuteten Tür am Fuße! Als wir klopfen, öffnet uns ein alter Bekannter: Rinpi.
Auch die Maschine ist noch da, in der Spitze des Turms. Sie erhalte gutes Futter, hauptsächlich von Sam. Schlagartig erinnere ich mich an Jarvis’ Warnung, Sam wäre vielleicht nicht der selbstlose Freund und Retter, für den wir ihn hielten. Rinpi bestätigt meinen Verdacht: die Energie stammt nicht von magischen Gegenständen, sondern von Menschen, einer moralisch äußerst verwerflichen Art von „Futter“.
Dann bin ich an der Reihe, das Ritual durchzuführen. Mit einem vorfreudigen Lächeln führt mich Luzija in diese schreckliche Folterkammer hinunter. Elidans Blut klebt noch frisch an der Holzbank, den Wänden und überhaupt überall. Ich muß völlig verrückt sein.
Doch einem Teil von mir fällt es schwer, sich von den Torturen des Rituals zu lösen. Luzijas Arbeit ist getan, sie bindet mich los und übergibt mich in Furgas’ Pflege, aber ich bin rastlos. Etwas verfolgt mich, aus dem Abgrund heraus...
Eine Woche vergeht. Elidan hat sich mittlerweile vom Ritual erholt und unterstützt die anderen bei dem Vorhaben, eine erste Handelskarawane nach Sigil zu entsenden. Doch meine Genesung geht nur schleppend voran.
Liegt es an diesem Ort? Oder werde ich tatsächlich beobachtet? Furgas meint, ich wäre paranoid, eine Folge des Rituals. Vielleicht hat er recht; aber nur, weil ich paranoid bin heißt das doch nicht, dass mich nicht vielleicht tatsächlich jemand verfolgt? Womöglich ist er es ja, der meine Genesung verzögert. Etwas stimmt nicht.
Ohne zu zögern schwinge ich mich aus dem Fenster und lasse Ipkunis hinter mir, die Stadt in der ich mich ständig verfolgt fühle.
Sechzehn Tage später kehre ich nach Ipkunis zurück.
Ein wenig peinlich ist mir mein Verhalten schon, und die anderen bestürmen mich mit Fragen, allen voran natürlich Furgas. Ich kann es mir nicht anders erklären als dass mein Körper die Foltern des Rituals von uns allen am schlechtesten verkraftet hat und er sich mit dieser verrückten Paranoia wohl vor weiterem Schaden schützen wollte.
Wenigstens bin ich nun wieder vollständig hergestellt und Herrin meiner Sinne, jedenfalls glaube ich es. Man’s End ist tatsächlich ein hervorragender Kurort, den werde ich mir merken. Nur die abendlichen Lagerfeuergeschichten der Althelden werden irgendwann langweilig.
Die anderen berichten, was in der Zwischenzeit alles geschehen ist:
Goins Handelskarawane ist bald bereit, nach Sigil aufzubrechen und wenn es soweit ist, werden wir sie als Schutztrupp begleiten.
Luzija hat Zwergenspione zum alten Baumportal entsandt, damit in Zukunft auch wir erfahren, wenn Freunde aus dem Dorf hier ankommen.
Elidan hat sich nach seiner Regeneration in Forschungen vergraben, was es mit unserem kleinen Teleportationsproblem auf sich hat und wurde seitdem nur selten im Tageslicht erblickt
Furgas hat mit freundlicher Unterstützung vom Berg Celest einen beachtlichen Torm Tempel bauen lassen. Allein die Ankunft der 50 Mann starken Prozession mit Bannern und Fanfaren, angeführt von einem gewaltigen Solar, muß ein Spektakel gewesen sein das ich sehr bedaure verpaßt zu haben.
Am Tempel versäumt er es nicht, seinen Heiratsantrag zu erneuern. Sei kein Feigling, jetzt oder nie, denke ich mir und spreche ihn ehrlich auf die Sache mit Ig’nea an, wie sie mir an den Kopf geworfen hat was in der Nacht im Wald passiert ist, und dass seitdem mein Vertrauen in ihn gebrochen ist.
Ich glaube, er ist ehrlich zerknirscht über seinen Moment der Schwäche, er gesteht es und schwört mir bei Torms Namen, einen solchen Treueeid nie zu brechen. Ich weiß zwar, wieviel Torm ihm bedeutet, aber ich bin keine seiner Gläubigen. Doch die Geste berührt mich. So viele gemeinsame Jahre lassen sich nicht einfach wegwischen. Schließich verspricht mir Furgas, mich nicht mit Schwüren zu bedrängen sondern mir durch Taten seine Loyalität zu beweisen.
Von nun an empfangen mich regelmäßig die schönsten Wildblumen. Also ist doch noch etwas von dem süßen Furgas unter dem harten Panzer verblieben.
Der Tag des Aufbruchs ist gekommen. Eine lange Wagenkolonne, beladen mit Gütern die Goin für Vielversprechend hält, rumpelt nach Sigil. Wir vereinbaren, dass immer zwei bei den Wagen auf dem Markt bleiben, die anderen können frei über ihre Zeit verfügen.
Und das tun wir auch:
Während Ig’nea ausgiebig die Läden Sigils unsicher macht, nutzt Elidan die vielfältigen Möglichkeiten der Stadt, um seine Forschungen zu beenden. Stolz erklärt er uns, das Geheimnis enträtselt zu haben: Jemand läßt uns Umwege auf der Astralebene machen, deshalb brauchen wir dort so lange. Er kann dies, weil er unsere Signatur manipuliert - genau erschließt sich mir das zwar nicht, aber ich verstehe diesen Teil: er kann den Effekt umgehen. Sehr schön, damit stehen uns die Ebenen offen! Ich bin so gespannt, was wir alles sehen werden.
Luzija und Furgas haben sich erneut daran gemacht, über Brenell und die Geschichte von Orth nachzuforschen. In dem halben Jahr, in dem wir die Karawane betreuten, pflastern schließlich zwanzig Gelehrte und Informanten ihren Weg, doch sie können etwas Licht ins Dunkel bringen:
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Brenell Rean’oks Ursprünge liegen im Dunkeln, die ersten Aufzeichnungen reichen etwa sieben bis achttausend Jahre zurück. Das würde zu Yachinx’ Erzählung von Orth passen. Es heißt, er sei in der Hierarchie ganz weit oben und mache Verträge für die Dunklen Acht, die maßgeblich den Blutkrieg steuern und für die höllischen Angelegenheiten außerhalb Baators zuständig sind. Also auch zum Beispiel für einen verliebten Drow, der auf Athas um Hilfe bittet. Brenell hat angeblich einst einen Vertrag direkt mit den Acht gemacht, in dem es um irgendeine Materierwelt ging, wo dann eine Stadt komplett verschwand, doch Orth sei es nicht. Nun ja, es könnte sich dabei ja auch um die Feinde von Orth handeln, die als erstes vernichtet wurden.
Die beiden stoßen auch auf ein Testament, das offensichtlich von Draka aufgezeichnet wurde! Draka berichtet darin, dass sie zum Mausoleum des Chronepsis gehen würde (schon wieder dieser Drache mit dem Zeitbezug), danach erweiterte sie es und teilte mit, dass sie auf dem Berg Celest zu Bahamut gehen wolle - dem Gott der goldenen Drachen. Na sie hat sich ja Ziele gesetzt.
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Ich verbringe das halbe Jahr sozusagen zwischen den Welten. Wenn ich in Sigil bin, bewache ich entweder die Karawane oder treibe mich bei den Sinnsaten herum. Ihre Feiern sind legendär, und so ziemlich täglich. Auf einem meiner Streifzüge durch die Stadt stolpere ich über einen zerlumpten Händler, der putzige kleine Haustiere verkauft. Er nennt sie Limlim, für zwanzig Kupfer kann ich eins haben. Als ein besonders neugieriges Exemplar an mir hochhüpft und mich mit einem fröhlichen *piyo* anzirpt, schmelze ich dahin und kann nicht widerstehen.
Den Großteil meiner Zeit verbringe ich jedoch in Arborea. Der kleine Limlim ist begeistert von so viel Grün und Natur, er macht meterhohe Freudensprünge und mehr als einmal muß ich ihn dann aus den unteren Zweigen der Bäume pflücken. Zum Glück ist mein Adler nicht eifersüchtig auf den neuen Familienzuwachs.
Nach zwei Monaten stoßen wir bei einem Ausflug auf eine Herde wunderschöner Pferde. Ihr Fell schimmert strahlend weiß, und irgendwie habe ich das Gefühl, dass diese Tiere etwas ganz besonderes sind. Wild und frei, und doch kümmern sie sich um einander. Wie unsere kleine Gruppe.
Ich beobachte sie von nun an jedem Tag, den ich in Arborea bin. Als ich auf einer Party in Sigil einem anderen Sinnsaten von diesen Pferden erzähle berichtet er mir aufgeregt, dass es sich bei diesen prachtvollen Tieren um Ur’eponas handeln muß. Es heißt, sie seien die Nachfahren der Pferdegöttin Epona und hätten von ihr eine besondere Macht geerbt: nur durch ihren Willen könnten sie von Ebene zu Ebene springen, was sie zu begehrten Reittieren für Reisende macht.
Die nächsten Wochen folge ich der Herde auf Schritt und Tritt, beobachte ihr Verhalten und ihre Vorlieben. Nach und nach kann ich mich einem von ihnen nähern, und mit viel Geduld und Bestechungen in Form von Leckereien aller Ebenen gelingt es mir tatsächlich, es zu zähmen. Nur das mit dem kontrollierten Ebenenspringen müssen wir noch ein bißchen üben. Ich lasse einen Stall in der Nähe des Portals errichten, falls ich mal kurzfristig fort muß und meine Gefährten nicht mitnehmen kann.
Als ich schließlich nach Sigil zurückkehre, sind Goins Waren so gut wie verkauft und wir machen uns Gedanken, wie es nun weitergeht. Furgas schlägt vor, noch einmal den Fusler im Stock zu befragen, nur für den Fall dass er den Sinnesstein noch vollständig angesehenhat.
Erneut begeben wir uns also ins Herz des Stocks. Noch immer ist der bemitleidenswerte Krüppel in der Straße vor der Schwarzen Pranke, wie beim letzten Besuch kümmern wir uns um ihn so gut es geht.
Vor der Pranke hockt ein Cornugon auf einer stinkenden, zerquetschten Frauenleiche und winkt uns zu. Widerliches, heimtückisches Biest. Es nennt sich Dr. Akusa, sei ein Arzt mit zigtausend Jahren Erfahrung im Blutkrieg, sollten wir mal Bedarf haben würde er uns günstig und gut zusammenflicken können. Erinnerungen an die grausigen Foltern des Rituals steigen in mir auf und ich bekomme eine Gänsehaut.
Luzija beginnt einen angeregten Plausch über den Blutkrieg mit dem Vieh, wir anderen wenden uns ab und der Absteige zu. Wenigstens läßt Furgas diesmal die Tür intakt. Im Zimmer des Fuslers angekommen finden wir jedoch nur eine siechende Frau vor, deren Leiden wir zwar erfolgreich heilen können, aber über den Verbleib des Vormieters weiß sie nichts.
Also unterzieht Furgas die alte Vettel einer Befragung. Manchmal frage ich mich ernsthaft, ob dieser Torm wirklich eine gute Gottheit ist oder nur ein sadistischer Teufel in guter Tarnung. Als Furgas der armen Alten, die immer wieder beteuert sie wisse nichts über den Fusler, beide Arme bricht, reißt mir endgültig der Geduldsfaden und ich gehe dazwischen. Solche Herzlosigkeit hätte ich nicht von ihm erwartet und bin ich nicht bereit zu tolerieren. Beleidigt stapft er Richtung Ausgang und murmelt irgendwas von mangelndem Verständnis für die Inquisition, da meint Ig’nea mit glasigem Blick plötzlich, dass die Vettel tatsächlich etwas vor uns verberge.
Auf dem Fuße macht unser Paladin kehrt und ich unterdrücke ein Seufzen, gerade habe ich die Alte geheilt und jetzt geht es von vorn los, doch da kommen mir Goin und Ig’nea zu Hilfe - diesmal sollen wir es auf ihre Weise versuchen.
Während sie die störrische Vettel mit zuckersüßen Liedchen, geistigen Einflüsterungen und der Verlockung einiger Platinmünzen umgarnen, behalte ich die Pranke im Auge. Luzija und der Cornugon sind verschwunden, was mich ein wenig beunruhigt, doch noch viel mehr beunruhigt mich eine Gruppe mehrerer Scheusale, die sich dort scheinbar formiert.
Als sie ihre Waffen ziehen, rufe ich den anderen eine Warnung zu, was immer sie tun, sie sollten es besser schnell tun, denn wir bekommen gleich mächtig Ärger. Furgas ist sofort an meiner Seite, den Hammer in der Hand.
Doch plötzlich stellt sich eine verhüllte Gestalt mit dem Rücken zu uns in den Türrahmen. Draußen wird es still, und wenige Sekunden später verschwindet die Figur wieder - die Scheusale haben ihre Waffen weggesteckt und sind dabei, sich in die Pranke zurückzuziehen. Wie merkwürdig. Ob die Alte einen Hausmeister hat?
Zufrieden kommt Ig’nea zu uns und berichtet, dass sie nun wisse wo der Fusler steckt: unser Angriff hatte ihn doch schwerer verletzt als wir vermutet hatten, er hatte seiner Arbeit nicht mehr nachgehen können und das Zimmer räumen müssen. Nun sieche er mit all den anderen Glücklosen auf der Müllhalde dahin. Sofort meldet sich mein schlechtes Gewissen; der Höllenhund Zerstörung ist wieder da. Vielleicht hatte der Hundefürst ja Recht und wir verdienen es, ausgelöscht zu werden - wo wir hingehen hinterlassen wir verbrannte Erde und gezeichnetes Leben. Aber vielleicht ist es ja noch nicht zu spät und wir können dem armen Schlucker noch helfen!
Die Alte ist jedenfalls froh, uns endlich los zu sein. In dieser Gegend kann es einen schnell den Kopf kosten wenn man dabei gesehen wird, wie man mit den falschen Leuten plaudert.
Draußen läuft uns Luzija direkt in die Arme. Sie sieht gar nicht gut aus, hat ein häßliches Loch im Bauch. Sieht unnormal aus, irgendwie tödlich - da rafft es sie auch schon dahin. Dr. Akusa kommt angerannt, schnappt Luzija und rennt in einem ungeheuren Tempo davon. Wir eilen hinterher und folgen ihm in seine "Praxis"; die Folterkammer in Ipkunis ist ein Dreck dagegen.
Auch die nun folgende "Behandlung" ist so widerwärtig, dass die meisten von uns, grün im Gesicht, früher oder später dieses Schlachthaus verlassen. In unglaublicher Geschwindigkeit schlitzt Akusa Luzijas Adern auf, allesamt, und läßt sie wie ein Schinken am Haken ausbluten. Dann nimmt er ihre Innereien auseinander, wirft alles in einen stinkenden Pott mit - ich weiß nicht genau was und will es auch nicht wissen, doch wider jede Logik schlägt die Todgeweihte am Ende der schaurigen Prozedur die Augen wieder auf.
Dankbar für die Hilfe bezahlen wir Akusa und er verrät uns noch, dass es sich bei der Waffe um eine Namensklinge gehandelt hat: wenn man den Namen der Person kennt, tötet sie sie sofort. Was für eine mächtige Waffe! Luzija erzählt uns, dass ihr unterwegs eine vermummte Gestalt begegnet ist, der Beschreibung nach dieselbe, die uns im Haus der Vettel zu Hilfe kam. Sie war neugierig und wollte sehen, wer sich unter der Kapuze verbirgt, also rempelte sie sie an. Sie sah kurz einen hübschen, schwarzhaarigen Mann, doch dann lenkte sie die Klinge in ihrem Bauch ab.
Wenigstens ist sie gerade noch mal so mit heiler Haut davon gekommen.
Nach dieser aufreibenden Unterbrechung machen wir uns auf den Weg zur Müllhalde. Weit ist es nicht, und wir gehen buchstäblich nur der Nase nach. Die Luft ist schwül und stickig, der Gestank fast körperlich fühlbar und betäubend. Hin und wieder sehen wir abgerissene Gestalten am Rand der Dunkelheit, die uns mit hungrigen Augen anstieren. Bis auf das sonore Brummen und das Quieken der Ratten ist es beunruhigend still hier.
Ein Schlucker rempelt Ig’nea an, offensichtlich provokativ denn sie hatte uns gerade gewarnt, gut auf unsere Habseligkeiten aufzupassen und auf Diebe zu achten. Bedrohlich fuchtelt sie mit feurigen Händen vor ihm herum, läßt ihn aber ansonsten in Frieden.
Das ist wohl auch die bessere Taktik hier unten, denn kurz darauf kommt Elidan mit einem anderen armen Tropf ins Gespräch. Für ein wenig Essen für sich und fünf seiner Freunde ist er bereit, uns Auskunft zu geben - für Elidan und seinen heißen Draht zum göttlichen Manna kein Problem, und siehe da: der unglückselige Mieter ist auch unter ihnen! Er sieht wirklich schlecht aus, offenbar hat er innere Verletzungen.
Wir überhäufen ihn mit Heilung, entfernen Krankheit und Läuse gleich mit, dann machen sie sich über das Essen her, neidisch beäugt von einem guten Dutzend anderer Bettler. Hier unten könnte man sich als Mildtäter einige Punkte im Himmel verdienen.
Viel Neues kann er uns nicht erzählen, noch dazu ist er trotz aller Wohltaten nicht sonderlich gesprächig oder ehrlich. Er bestätigt, den Sinnesstein beim Aufräumen im Staub gefunden zu haben und wollte ihn dann an die Sinnsaten verkaufen, doch man hätte ihm gesagt, er sei beim Brand beschädigt worden und nichts wert. Angeschaut habe er ihn auch nicht. Wir wissen zwar, dass das gelogen ist, doch es macht keinen Unterschied - wie befürchtet war die Erinnerung schon damals nicht mehr vollständig, er kann uns also nichts darüber sagen.
Kurze Zeit später ist Goins Handelskarawane wieder auf dem Rückweg nach Ipkunis. Stolz zählt er uns die Gewinne vor, immerhin ein gutes Drittel mehr als wir ausgegeben haben. Ig’nea erhält Neuigkeiten über die Mönche: offenbar waren sie vor einer Woche bei Fell! Und wir haben nichts davon mitbekommen, so ein Mist. Sind etwa neue Dörfler gekommen und sie haben sich ihre Gesichter eintätowieren lassen? Fell schweigt natürlich, wie schon bei uns zuvor.
Sofort will Luzija ihre beiden Spione befragen, doch es zeigt sich, dass beide bei der Verfolgung der Mönche umgekommen sind. Also waren sie auch wieder in den Beastlands!
Wir beschließen, erneut die Spur der Mönche aufzunehmen und sie diesmal nicht davonkommen zu lassen, ganz nach Ig’neas Geschmack. Schnell sind unsere sieben Sachen gepackt, meine Tiergefährten abgeholt und dann shiftet uns Elidan in die Beastlands. Es fehlt wohl noch ein wenig an Übung, denn wir verfehlen Irkbaz um rund 300 Meilen. Also heißt es zu Fuß oder Flügel weiter, aber so haben wir auch noch etwas Zeit, uns eine Strategie zu überlegen und ich kann wieder viel Zeit mit meinen Tieren verbringen.
Da wir mittlerweile ein paar Reisetricks kennen, langen wir schon nach zwei Tagen am äußersten Rand von Irkbaz an und zwei Wochen später stehen wir am Goldenen Tempel. Ig’nea untersucht den Tempel nochmals, und zusätzlich zu dem Kampf zwischen Brenell und Aldreds Mannen sieht sie, dass Brenell später noch einmal hier war - mit dem Baby, und offenbar sehr zufrieden mit sich und der Welt.
Gemeinsam stemmen wir das große Portal auf. Drinnen empfängt uns muffige Luft, der Tempel ist leer bis auf einen goldenen, mit Bärenmotiven verzierten Altar. Ig’nea erspürt, dass Brenell das Kind auf den Altar legte und anschließend einen Zauber sprach. Licht umhüllte daraufhin das Kind und es empfand abwechselnd Freude, dann Angst. Schließlich nimmt Brenell das Kind wieder an sich und geht davon.
Als sie Elidan den Zauber beschreibt, denkt er kurz nach und vermutet dann, dass es sich dabei wohl um eine Planare Bindung gehandelt hat. Was bezweckt Brenell bloß damit? Oder handelt er nicht für sich sondern im Namen anderer?
Luzija deutet auf einmal zu Goin und beginnt zu lachen. Er hat Wolfsaugen bekommen, und sein Bart wird ganz grau. Er verhält sich aber noch so wie wir ihn kennen. Erst mache ich mir Sorgen, ob ihn vielleicht ein Wertier gebissen haben könnte, doch scheint gerade weder der Mond noch stimmen die Anzeichen. Nach kurzer Überlegung komme ich zu dem Schluß, dass es wohl eine Auswirkung der Beastlands sein muß, die uns Kinder des Dorfes offensichtlich verschont, nicht aber einen Materier wie Goin. Die tierischen Züge, die einem innewohnen, werden hier verstärkt und nach außen getragen.
Da uns der Tempel nicht weiterbringt, suchen wir die Umgebung der Leuchttürme nach Spuren ab. Und tatsächlich: die Räder des schweren Gefängniswagens haben tiefe Furchen in den trockenen Boden gegraben. Wir folgen ihnen ohne Mühe, bis sie in einem großen Torbogen einer verfallenen Ruine abrupt enden. Wir haben das Portal gefunden.
Als wir es durchschreiten, finden wir uns im wohlbekannten gelben Gras der Außenländer wieder. Hier muß mein Limlim ganz schön hoch springen, um eine Chance auf Aussicht zu bekommen.
Nach zwei Stunden kommen wir an einem Affenbrotbaum vorbei. Seinen überreifen Früchte verbreiten einen süßlichen Duft, denen der Kleine nicht widerstehen kann. Wir rasten kurz, eine der Früchte fällt auf meine Schulter und zerplatzt dort mit einem satten Schmatzen. Pfui Spinne.
Plötzlich bewegt sich durch das hohe Gras etwas auf uns zu! Es sind drei Käfer, Feuerkäfer glaube ich, ihre mächtigen Kiefer zucken gefährlich und als sie uns bei den Früchten bemerken, beginnt ein Teil ihres Körpers merkwürdig zu Glühen und sie gehen auf uns los. Ich steige auf, einer tut es mir gleich, ist jedoch viel zu schwerfällig um eine ernsthafte Bedrohung darzustellen. Langsam finde ich diese Kreaturen interessant. Ich pflücke im Vorbeiflug schnell ein paar Früchte und locke den Käfer damit hinter mir her, werfe ihm ab und zu eins der birnenförmigen Dinger zu. Er schnappt sie, frißt sie auf, und nach einer Weile dreht er, offenbar satt, ab und macht sich mit seinen Kumpanen davon.
Wir setzen unseren Weg fort, nähern uns dabei stetig der Säule, die man auf den Außenländern schon von weitem erblicken kann, wo man auch ist. Ich nutze die Abende für ausgedehnte Spaziergänge mit meinen Lieblingen, die Natur ist zwar nicht so abwechslungsreich wie in Arborea aber hat dennoch ihren Reiz.
Zwei Wochen später erspähen wir in der Ferne ein Gebäude. Es muß groß sein, denn obwohl wir noch mindestens zwei Meilen entfernt sind wirkt es einschüchternd und trutzig. Da ich noch aus alten Dorfzeiten am Geübtesten im Anschleichen bin (außer Begor, fällt mir ein, und einen Moment lang ergreift roter Zorn meine Seele), warten die anderen hier und ich arbeite mich vorsichtig näher heran. Ig’nea hält geistigen Kontakt mit mir, und ich berichte ihr, welches Bild sich mir darbietet:
Wir haben den Stützpunkt der Mönche gefunden! Eine runde Zitadelle aus grauem Stein (wo haben die hier bloß solche Mengen an Stein gefunden?), umgeben von ein paar Feldern, die wohl von Lehensbauern bearbeitet werden.
Es herrscht fast panisches Treiben, Fensterläden werden zugeschlagen und verriegelt, ich glaube immer wieder etwas wie "sie sind hier" rufen zu hören. Verdammt, sie haben uns also bereits entdeckt! Meiner Einschätzung nach sind etwa 500 Mönche in dieser Festung, viel zu viele für eine direkte Konfrontation. Wenn wir eine kleine Armee hätten, gäbe es vielleicht eine Chance...
Leise kehre ich zu den anderen zurück. Ig’nea hat sie bereits über meine Erkenntnisse informiert und unsere Zauberkundigen überlegen, ob sie mittels Beschwörung eine ausreichend starke Armee zusammenbekämen, und was das Arsenal so hergibt.
Ich frage mich bloß, wie sie uns entdeckt haben. Vielleicht haben sie das Portal überwacht und so von unserer Ankunft erfahren? Oder liegt es daran, dass Ig’nea noch nicht das Ritual durchgeführt hat? Wir müssen in Zukunft wirklich besser darauf achten, dass uns nicht jeder drittklassige Gossenmagier auf Schritt und Tritt aufspüren kann.
Am Ende sind wir uns uneins. Können wir es mit der Masse an Gegnern aufnehmen? Als Ig’nea, neugierig und unverbesserlich, selbst auf Erkundungstour geflogen ist, hat man versucht, sie magisch aufzulösen. Also haben sie mehr als nur drittklassige Gossenmagier, die Frage ist nur: wieviele mehr?
Haben wir zum jetzigen Zeitpunkt eine Chance, diesen Kampf zu überstehen? Doch vielleicht haben wir ja auch gar keine Wahl; nun da sie wissen, dass wir hier sind, werden sie uns früher oder später selbst angreifen, wenn wir es nicht tun.
Wir sind schließlich die Frevler.
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