Tod und Auferstehung
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Als Furgas nach Stunden mit klingelnden Ohren erwacht, liegt er allein und nackt auf kaltem Fels. Dorn hält er noch immer umklammert, doch die einst strahlende Klinge ist matt und wirkt ... angelaufen. Sie spricht nur wenig, unter großen Schmerzen, er solle das bloß nie wieder tun.
Um ihn herum ist ein gigantischer Krater entstanden auf dessen Boden er hockt, als ob ein Riese mit seiner Pranke ein Stück aus einer Sahnetorte gegriffen hätte; nur dass die Torte eine Ebene war, von der jetzt ein beträchtlicher Teil fehlt. Etwas ratlos macht sich Furgas auf den Weg nach Sigil zu Artur. Nackt und ohne einen roten Heller dürfte das eine interessante Reise werden.
Derweil hat es uns an einen Ort verschlagen. Furgas hätte ihn beschreiben können, denn er war als einziger von uns schon einmal hier gewesen. Es ist der Ort, an den diejenigen kommen, die sonst niemand nach ihrem Tod haben will. Nicht einmal die Unteren Ebenen.
Mein Körper ist durchscheinend geworden und fühlt sich völlig schwerelos an, beinahe wie in der Elementarebene der Luft. Nein, nicht ganz. Dort spürte ich noch, dass ich einen Körper habe, auch wenn es keine eindeutige Schwerkraft gab. Hier ist das anders. Es gibt einfach keinen Körper mehr.
Im ersten Moment bin ich völlig orientierungslos, ein fast vergessenes und ungutes Gefühl. Eben standen wir doch noch vor einer Berghöhle in den Beastlands. Die fliehenden Mönche, Trik’ten, der Stab, die unglaubliche Explosion.
Jetzt ist alles anders. Um mich herum sehe ich meine Freunde, alle außer Furgas und Alceron, sie schauen sich ebenso verwundert um wie ich.
Plötzlich geht ein Ruck durch unsere Wesen und eine unsichtbare Kraft zieht uns vorwärts, wie ein steuerloses Schiff in der Strömung werden wir unaufhaltsam weitergetragen. Angezogen auf ein schemenhaftes Etwas.
Eine Mauer.
Doch nicht aus Stein und Mörtel, sondern aus unzähligen, sich windenden Leibern! Grässlich verzerrte Gesichter, die uns aus gepeinigten, leeren Augen anstarren. Näher, immer näher. Verzweifelt versuche ich gegen den Sog anzukämpfen, doch mein geisterhafter Körper will mir nicht gehorchen. Schon strecken sich fahle Arme nach mir aus, tasten klamme Finger suchend durch die Luft.
Ich pralle gegen ein Hindernis. Doch es ist nicht die Mauer aus Leibern, aus der sich mir noch immer erwartungsvolle Hände entgegenrecken. Wenige Zentimeter trennen uns, doch es ist vorbei. Der Sog hat uns freigegeben und wir entfernen uns schleunigst von dieser makabren Klagemauer. Was hat uns gerettet? Keiner von uns hat eine Antwort darauf, wir können nur vermuten, dass es eine der vielen Merkwürdigkeiten sein muß, die uns so vom Rest der Ebenen unterscheidet.
Diesmal bin ich jedoch sehr dankbar dafür.
Zumindest kann Elidan uns erklären, wie wir hierhergekommen sind: Trik’ten, dieser durchtriebene Wahnsinnige, hat als letzte gute Tat in seinem irregeleiteten Leben seinen Zauberstab zerbrochen und damit auf einen Schlag die gesamte darin gespeicherte Magie freigesetzt, was zu dieser gewaltigen Explosion führte.
Wir sind also tot. Ein eigenartiges Gefühl. Bis auf den Mangel an Körpergefühl bemerke ich gar keinen Unterschied, auch die anderen sehen aus und geben sich wie immer. Nur die Welt um uns herum hat sich verändert.
Wir beginnen, in dieser Fremde umherzuwandeln, doch so recht kommen wir nicht vom Fleck. Eigenartig.
Was wohl aus Furgas geworden ist? Vielleicht hat er ja wie durch ein Wunder überlebt und kümmert sich bereits um unsere Wiedererweckung. Dass so etwas möglich ist, haben wir an seinem Beispiel in Tamra erleben dürfen. Ob er wohl auch an diesem seltsamen Ort hier war?
Meine Gedanken werden jäh unterbrochen, als ich eine mir wohlbekannte Gestalt erblicke: Jarvis! Natürlich kann er mich nicht sehen, er weilt ja unter den Lebenden, dennoch spüre ich den Drang, zu ihm zu gehen und ihn zu berühren. Wie merkwürdig doch das Dasein eines Geists ist; die Lebenden zu sehen, doch für sie unsichtbar zu sein.
Er entrollt ein Pergament und liest daraus vor, und plötzlich habe ich wieder das Gefühl, dass mich etwas davonzieht und ich noch durchsichtiger werde. Doch dann hört es auf, Jarvis schleudert zornig die Rolle zu Boden, die sich noch im Flug auflöst. Hat er versucht meinen Geist zu beschwören?
Einen Moment lang scheint er zu überlegen, dann zieht er zu meiner Verwunderung sein Schwert. Erst als er es mit dem Heft voran im Boden eingräbt, erkenne ich plötzlich seine Absicht und mit einem Aufschrei stürze ich nach vorn; in dem Moment habe ich völlig vergessen, dass ich als körperloser Geist machtlos bin. Hilflos muß ich mit ansehen, wie er sich ohne zu zögern durch meine ausgestreckten Arme hindurch in sein eigenes Schwert fallen läßt.
Fassungslos stehe ich da und weiß noch gar nicht recht, wie mir geschieht, da erscheint plötzlich Jarvis’ geisterhafte Gestalt neben mir, zwinkert mir lächelnd zu, als wäre es das normalste der Welt, sich mal eben umzubringen - und wird dann auf die Mauer zugerissen. Doch meine Sorge stellt sich als unberechtigt heraus: wie wir zuvor kann auch er der grauenhaften Wand entkommen.
Mir fallen Luzijas Worte ein, dass wir anders sind, weil wir Kinder des Dorfes sind. Hat Jarvis mich was seine Herkunft betrifft etwa angelogen? Oder hat er wie Goin das Buch des Wahnsinns gelesen und somit den Frevel begangen?
Natürlich ist auch den anderen seine Ankunft nicht verborgen geblieben. Neugierig, aber weniger skeptisch als früher, bestürmen sie ihn mit Fragen, die er auch geduldig beantwortet - nachdem ich ihn wieder aus einer Umarmung entlassen habe. Und wir erfahren in der Tat einige interessante Neuigkeiten.
Offenbar kann er an diesem Ort frei mit uns sprechen, da „seine Herren“ uns hier nicht belauschen können. Deshalb verrät er uns auch, dass er tatsächlich ein Kind des Dorfes sei! Also daher die Immunität gegenüber der Fleischmauer.
Er sagt, dass er und Brenell vor allem deshalb ein so großes Interesse an uns hätten, weil wir Kinder des Dorfes so furchtbar wenige sind. Die meisten werden sofort von den Mönchen aufgegriffen und vernichtet; dass wir ihren Orden aufgemischt haben, würde kein dauerhafter Erfolg sein, denn sie sind nur ersetzbare Werkzeuge.
Jarvis bestätigt, dass der geistige Führer der Xaositekten tatsächlich einer von uns ist, wenn man geistig und Xaositekten in einem Satz nennen kann. Und der geheimnisvolle, bei den Göttermenschen Untergetauchte ist - er selbst! Jarvis ist ihr Schatzmeister.
Genau wie wir findet er es unerträglich, dass wir nie in Frieden leben können, da man uns ständig auf den Fersen ist. So viele sind schon getötet worden: Ich muß an Kira und Begor denken, mag mir gar nicht ausmalen an welchen Ort sie nach ihrem Tod kamen. Wir sagen ihm also unsere Zusammenarbeit zu, was Brenell betrifft hatten wir ja schon viel früher den Verdacht, dass er nicht wirklich unser Feind ist.
Jarvis entschuldigt sich insbesondere bei Luzija für die Unannehmlichkeiten, die sie durch seinen Mordanschlag hatte, doch es war nun einmal sein Auftrag. Wenigstens hat er dafür gesorgt, dass dieser heilbegabte Cornugon Dr. Akusa in der Nähe war.
Nach einer Weile meint Jarvis, dass er nicht mehr lange hier bleiben könne, man hätte seinen Tod sicher schon bemerkt und würde ihn erwecken. Falls es Furgas nicht schafft, uns binnen zwei Wochen von hier fortzuholen, würde er es tun, auch wenn er sich damit Ärger einhandelt. Blieben wir länger hier, liefen wir Gefahr, uns selbst zu vergessen.
Allerdings hätte das auch einen Preis: Dorn. Ich frage mich, ob er das wirklich ernst meint und sich bewusst ist, was für eine gefährliche Waffe er sich da einhandeln würde - für den Träger.
In den folgenden Tagen - Tagen? - bewahrheitet sich Jarvis’ Warnung. Je länger wir an diesem trostlosen Ort verweilen, umso weiter rückt die Erinnerung an mein Leben in Vergessenheit. Ziellos wandern wir umher, an ein Fortkommen ist nicht zu denken, immer wieder kehren wir zu der Mauer zurück.
Endlich, am zwölften Tag, endet dieser schleichende Zustand der Auflösung: Ein verlockender Ruf wühlt meinen Geist auf, ich folge ihm. Da ergreift mich ein Wirbel, reißt mich in die Höhe, aus Dämmerung wird wieder Licht. Ich fühle mich plötzlich unendlich schwer, klein und dicht, wie Kohlenstoff, der gerade zu einem Diamanten gepresst wurde. Spüre meinen Herzschlag wie Trommeln in den Ohren. Wie anstrengend doch das Atmen ist.
Dann ist es wieder finster. Ich öffne vorsichtig die Augen und blicke in einen grauen, leeren Himmel. Langsam atme ich ein und aus, versuche mich an das Gefühl eines Körpers zu gewöhnen. Ich spüre Kälte aufsteigen und ertaste harten Steinboden unter mir.
Da erscheint Furgas’ Gesicht in meinem Blickfeld. Er schaut ernst drein, irgendwie angespannt. Schnell hilft er mir auf und drückt mir eine Leinenrobe in die Hand, erst da fällt mir auf, dass ich völlig nackt bin. Ig’nea scheint das gar nichts auszumachen, sie hat schnell ihre Fassung wiedergewonnen.
Hastig ziehe ich die Robe an, dann sehe ich mich um. Verwittertes, eingestürztes Mauerwerk umgibt uns, wahrscheinlich eine alte Abtei. Alles sieht aus wie von einem Schleier überzogen, jede Farbe ist trostlosen Schattierungen von Grau gewichen.
Ein schwarzer Abishai steht etwas abseits von uns, ein feines Lächeln ziert seinen gehörnten Echsenschädel. Hat er uns etwa wiedererweckt? Weder Artur noch Furgas scheinen sich an seiner Anwesenheit zu stören.
Da dringt entfernter Kampfeslärm an meine Ohren. Neugierig wende ich mich einer Lücke in der Mauer zu - und erstarre!
Die Abtei steht auf einem kleinen Plateau und bietet daher einen makabren Ausblick auf eine wahrlich höllische Szenerie:
Unter uns tobt eine Schlacht von gewaltigen Ausmaßen. Horden von Tana’ri branden gegen die geordneten Schlachtreihen tausender Baatezu, fliegende Ungeheuer tränken Freund und Feind in Flammen und beharken sich gegenseitig mit Klauen und Zähnen. Gelegentlich stürzt eines von ihnen brüllend in die Tiefe und begräbt Hunderte unter sich. Riesige Katapulte schleudern Tod und Verderben in den Himmel, Waffengeklirr und unmenschliche Schreie vermischen sich zu einer Schreckenssymphonie, die mir durch Mark und Bein geht.
Der Blutkrieg.
Wie vom Donner gerührt starre ich auf die wogenden Heerscharen, als mich eine Klauenhand packt und unsanft zurückzieht.
„Wir wollen doch keine unnötige Aufmerksamkeit erregen.“ zischelt der Abishai. Noch völlig betäubt von dem Anblick stolpere ich den anderen hinterher, die sich bereits aufmachen, diesen ungastlichen Ort zu verlassen. Oinos, fährt es mir durch den Kopf, die erste Unterebene der Grauen Einöde. Schauplatz des seit Äonen tobenden Blutkriegs, in dem sich die Scheusale gegenseitig scharenweise abschlachten.
Eilig schreiten wir durch die ruinierte Abtei, nur fort von dieser tristen Heimstätte der Hoffnungslosigkeit und der Verzweiflung. Durch einen maroden Torbogen gelangen wir zurück in die Torstadt Sigil und folgen Artur schnurstracks in sein Haus.
Eine eigenartige Prozession sind wir: Artur, schwer gerüstet in seinem goldenen Panzer, Furgas mit Dorn, und dann wir anderen sieben Gestalten - im Nachthemd.
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