Freitag, September 14, 2007

Das letzte Gefecht

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Hat ein Geist eine Vergangenheit?

Ich bin mir nicht mehr sicher. Die Erinnerung verblasst bereits. An das Leben einer Juvanis. War ich das?
Doch; ja. Ich erinnere mich wieder.

Was ist nur geschehen?


Ich war dem hellen Licht entkommen. Dorns Prüfung hatte mich an die Schwelle des Todes, jedoch nicht darüber hinweg befördert.
Es hatte nach diesem Vorfall auch nicht lange gedauert, bis alles ist wieder zur Normalität dieser Tage zurückkehrte. Dinge wie zum Beispiel meinen abgebissenen Arm vor meinen Augen zu rösten und zu verspeisen. Oder Elidan, der einem mysteriösen magischen Schimmern nachspürte, das womöglich ein Planeshift war. Gut, vielleicht hätte ich ihn beruhigen sollen dass es bloß Jarvis war, aber ich war einfach zu erschöpft.
Und natürlich eine Menge Beten seitens Furgas, der ein langes Gespräch mit Dorn hatte wegen des Vorfalls. Er hat versucht mich zu beruhigen weil Dorn meinte, er könne stolz auf mich sein. Meine Bereitschaft, für meine Treue zu Jarvis zu sterben hätte sie wohl bewogen, ihre Meinung über die „Verrätersau“ zumindest ein bisschen zu mildern. Was auch immer das heißen mag.

Luzija gräbt sich also weiter durch die Trümmer der ehemaligen Mönchszitadelle auf der Suche nach Hinweisen und Schätzen, bis schließlich Goin und Alceron aus Sigil eintreffen.

Die beiden erwartet ein grausiges Bild: selbst nach fast zwei Wochen steigt noch immer Rauch aus den Scheiterhaufen auf, der beißende Geruch des Todes hängt wie ein dunkler Vorhang über dem ganzen Gebiet. Die vernarbte Erde lässt kaum darauf schließen, dass hier vor gar nicht allzu langer Zeit noch wogendes, gelbes Gras stand.
Den Schrecken kann man ihnen ansehen, bei Alceron mehr als bei Goin. Doch er hat auch nicht erlebt, was wir erlebt haben, vielleicht hat er Glück und wird es auch nie. Wenn er in unserer Gesellschaft bleibt, wage ich das jedoch zu bezweifeln, mit Glück sind wir nicht gerade gesegnet.

Wobei, einiges von dem was Luzija mittlerweile angehäuft hat ist durchaus von großem Wert. Und zwar nicht nur in Gold gemessen: sie fördert jede Menge Papier zu Tage, unter anderem ein weiteres Ritualbuch. Eigentlich erstaunlich, bei all dem Feuer das hier gewütet hat hätte ich nicht mit Papier gerechnet, doch Luzijas und Elidans Augen leuchten. Die beiden werden in der nächsten Zeit wahrscheinlich kaum ansprechbar sein und ständig ihre Nasen in die Rollen stecken.

Nachdem wir Goin und Alceron die Geschehnisse der letzten Tage berichtet haben wird uns klar, dass wir die Sache gänzlich zu Ende bringen und auch die Elitetruppe in den Beastlands aufsuchen müssen. Entweder sie zeigen sich kooperativ und verraten uns endlich, was es mit dieser Verfolgung der Kinder des Dorfes auf sich hat, oder wir werden sie ebenso vernichten müssen wie das Kloster. Diese Hinrichtung unserer Leute muß ein Ende haben.


Ig’nea und Detritor nehmen einen Umweg über Ipkunis, sie haben wohl noch Geschäftliches zu erledigen, und Luzija beginnt wieder wie eine Wilde herumzuspringen und zu kreischen. Das wohlbekannte Ziehen geht durch meinen Körper, aber irgendwie fühlt sich etwas daran seltsam an. Doch noch bevor ich mir Gedanken darüber machen kann, reißt es mir plötzlich den Boden unter den Füßen weg - und ich falle!


Endloser Fall, immer tiefer hinab. Alles wird so klein und entschwindet schließlich ganz.
Sturz in die Vergessenheit. Wo bin ich? Wie viel Zeit ist vergangen?


Der Erdboden ist verschwunden, um mich herum ist nur unendliches Himmelblau, so weit das Auge reicht. Instinktiv entfalte ich meine Flügel, weiße flaumige Wölkchen rauschen im Fallen an mir vorbei, ich sehe die anderen schreiend hinunterstürzen. Hinunter? Ich habe keine Ahnung wie tief es überhaupt geht, ohne Boden. Oder falle ich gar nicht? Wo ist hier oben und unten?
In dem Moment hört der Fall auf. Auch die anderen halten nach und nach inne, noch etwas unbeholfen und erstaunt, doch die erste Panik ist einer aufkeimenden Neugier gewichen. Angestrengt versuche ich mich an unseren Unterricht in Ebenenkunde zu erinnern.
Die Elementarebene der Luft.
Eine der Inneren Ebenen.
Es gibt kein oben und unten, jeder wählt selbst, wohin ihn die Schwerkraft zieht.

Mit dieser Erkenntnis fällt das Fliegen doch sofort leichter. Vorsichtig versammeln wir uns wieder, Luzija murmelt etwas verschämt eine kleine Entschuldigung, irgendeiner ihrer schiefen Töne muß zu schief gewesen sein.
Plötzlich dringt Kampflärm an unsere Ohren. Der ist uns vorher völlig entgangen. Einige hundert Meter von uns entfernt schwebt eine kleine Felseninsel mitten in der Luft, zwei Türme drängen sich auf ihr zusammen. Ein Drachkin und ein Mensch kämpfen dort gegen drei Luftelementare und einen Beholder, doch sie sind der Übermacht unterlegen. Der Mensch sinkt getroffen zu Boden, wird von seinem Gefährten geschnappt und dann springt der Drachkin über den Rand der Insel auf und davon.

Einen Moment lang überlegen wir, ob wir eingreifen sollen, doch dann entscheiden wir uns dagegen. Dies ist nicht unser Kampf, wer weiß wer die beiden überhaupt sind; vielleicht haben sie den Zorn der Einheimischen ja sogar verdient.
Außerdem haben wir eine eigene Mission. Erneut stimmt Luzija ihren Singsang an und wirbelt in der Luft herum, das Ziehen ergreift uns...


... und wir spüren moosigen Waldboden unter unseren Füßen. Diesmal ist Luzijas Zauber geglückt, wir sind zwar viele Meilen vom Gebirge entfernt, aber auf der richtigen Ebene. Das Unterholz macht ein Vorankommen beschwerlich, doch es ist ein vertrautes Gefühl, wieder festen Boden unter sich zu spüren. Im Nachhinein fand ich die Luftebene gar nicht so übel, doch meinen Freunden hat es glaube ich weniger gefallen.

Nach zwei Tagen kommen wir an einer Lichtung vorbei, die uns merkwürdig bekannt erscheint. Als ein leises Quieken ertönt, fällt es mir wieder ein: das Lager der Werratten! Doch niemand greift uns an, ungehindert ziehen wir weiter.
Plötzlich befiehlt uns Goin, stehen zu bleiben. Er deutet auf Alceron und behauptet, jener würde beobachtet werden. Verflixt, warum haben wir nicht früher daran gedacht? Ständig muß man sich vorsehen, nicht von magischen Sprüchen ausspioniert zu werden. Goin versucht, den Schlüssellochgucker ausfindig zu machen, und für einen Moment färben sich seine Augen schwarz. Irgendwie unheimlich. Dann beschreibt er eine verhüllte Person, die auf einer anderen Ebene in dunkler Wildnis vor einer Sandfläche hockte und ihm mit einer behandschuhten Hand eine Nachricht in den Sand schrieb, irgendetwas mit „Vorsicht“.

Hätte Goin bloß besser aufgepasst und die ganze Warnung verstanden.

Furgas hat plötzlich eine Idee, zückt Dorn den Hammer, und bevor jemand ihn und seine guten Ideen aufhalten kann, berührt er Alceron damit. Nichts geschieht, doch Alceron zeigt wenig Begeisterung und meint plötzlich erschrocken, er habe die Verbindung zu seiner Göttin verloren.
Ein wenig verständnislos blicke ich ihn an, doch da schwenkt Furgas auch schon Dorn von Alceron zu mir. Angesichts meiner letzten Begegnung mit dieser fanatischen Waffe zucke ich zusammen, doch diesmal frisst sich Dorn nicht in meine Haut. Stattdessen spüre ich, wie auf einmal sämtliche Magie von mir zu schwinden scheint. Als ob jemand ein schweres Tuch über die Lichtquelle in meinem Geist gelegt hätte.
Sobald mich Dorn jedoch nicht mehr berührt, ist der seltsame Effekt wieder verschwunden. Eine eigenartige Methode, uns diesen nützlichen Trick der Waffe zu zeigen, aber andererseits typisch für Furgas. Erst handeln, dann fragen.

Schließlich befreit Elidan Alceron von dem Spionagezauber und wir ziehen weiter, der Waldrand ist nun nicht mehr fern. Bevor wir jedoch auf die offene Wiese zwischen Wäldern und Gebirge treten, zaubert Luzija ein magisches Auge herbei, um die Gegend aus sicherer Entfernung zu erkunden.
Das war eine wirklich gute Idee, denn sie erspäht einen unsichtbaren Zwerg, der an der Geröllkante entlang so schnell ihn seine kurzen Beine tragen in Richtung Binge Barmak hastet. Ob das ein Bote ist? Oder gar ein Spion, der unsere Ankunft melden soll? Goin ist jedenfalls schon auf Verfolgungsjagd, wir anderen bleiben zurück und warten darauf, dass Luzija die letzte Bastion der Mönche in den Bergen aufspürt.

Kurze Zeit später kehrt Goin zurück und gibt Entwarnung, der Zwerg war wohl wirklich nur ein harmloser Bote, also hat er ihn ziehen lassen. Gemeinsam brechen wir auf, Luzija hat das Lager in einer Höhle etwa 50 Meilen im Gebirge entdeckt. Unterwegs beraten wir unsere Vorgehensweise. Sie ist nicht gerade unumstritten; einige möchten die Überraschung nutzen und sie sofort eliminieren, andere versuchen sie zur Aufgabe zu überreden.
Schließlich fällt das Los auf Alceron. Er ist kein Kind des Dorfes, hat außerdem nicht an dem Massaker bei der Zitadelle mitgewirkt und soll daher unser Vermittler sein. Vielleicht lassen sie ja mit sich reden und wir erfahren, was es mit diesem kranken Orden auf sich hat.

An der Höhle angekommen erwartet uns eine Überraschung: Trik’ten, der weißberobte Gith und Anführer der Mönche, tritt aus der Höhle heraus und ergibt sich uns sofort unter der Bedingung, dass wir seine Leute frei ziehen lassen und auch nicht verfolgen. So viel Nobilität hätte ich einem ehemaligen Verbrecher gar nicht zugetraut, doch das Angebot der Läuterung von allen Sünden scheint tatsächlich eine Wirkung zu haben.
Wir erklären uns also einverstanden und sehen den acht verbliebenen Mönchen nach, die ihr Heil schleunigst in der Flucht suchen.
Acht? Einen Moment bin ich irritiert, der Mönch den Ig’nea befragt hatte sprach doch von neun Elitemönchen. Aber da tritt Trik’ten bereits auf mich zu und hält mir seinen Stab als Zeichen seiner Aufgabe hin. Noch bevor ich danach greifen kann, sehe ich das hinterhältige Lächeln in seinem schmalen Gesicht.

Falle.

Zu spät wird mir klar, was der Gith in seinen Händen hält. Sein Plan von der Läuterung. Zu spät. Mit einem triumphierenden Blick bricht Trik’ten den magischen Stab in seinen Händen entzwei und die Welt zersplittert augenblicklich in einer gewaltigen Explosion purer Magie.
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