Der Entfesselte
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Wir haben die Siedlung der Orks in sicherer Entfernung hinter uns gelassen. Ich bin zufrieden mit unserem Ergebnis, doch Luzija ist viel mehr als das - sie ist beinahe euphorisch. Die böse Göttin spielen zu dürfen hat ihr schon immer gefallen, doch jetzt hat sie der Übermut gepackt, denn sie schlägt vor, es endlich den Mönchen heimzuzahlen.
Ig'nea ist natürlich Feuer und Flamme, auch die anderen haben keine Einwände. Selbst Furgas hält es für eine gerechte Sache, und obwohl ich das Gemetzel scheue, genügt ein Blick auf die linkische Statue von Kira und Begor, um meine Zweifel zu ersticken.
Wie schon beim letzten Versuch hat Elidan jedoch noch Vorbereitungen in Ipkunis zu treffen und nimmt Goin und Alceron gleich mit, um dort nach dem Rechten zu sehen. Im Grunde haben die beiden ja auch nichts mit den Mönchen zu tun, das ist unser Problem.
In Man's End löse ich kurzerhand mein Ur'epona aus seiner gemütlichen Pflege, dann versetzt uns Luzija unter mächtigem Getöse auf die Außenländer, das altbekannte gelbe Gras umfängt uns.Während wir auf Elidans Rückkehr warten, erlege ich einen Bären und ziehe ihm das Fell über die Ohren. Falls wir irgendwann wieder nach Kront müssen, wird es mich bestimmt schön wärmen.
Das Fleisch brutzelt und duftet verführerisch über dem kleinen Feuer, das Ig'nea entzündet hat, so macht Warten Spaß. Als Elidan endlich auf unserer Ebene auftaucht dauert es noch eine Weile, bis unsere Magier ihm den richtigen Weg zu uns weisen können, mein Adler war ebenso wie Furgas keine große Hilfe bei der Suche. Doch vielleicht liegt das auch an seinem vollen Magen. Jetzt verstehe ich, was Elidan in Ipkunis wollte: wie auch immer er es angestellt hat, er sieht wieder ganz so aus wie früher. Keine Klingenreben zieren mehr seinen Kopf, auch der Höcker ist weg.
Wir stärken uns und malen Schlachtpläne in den trockenen Sand, überlegen hin und her und einigen uns schließlich auf eine Taktik.
Wer hätte gedacht, dass ich einmal Fallen- und Jagdtechniken, die mir meine Vorfahren im Dorf beigebracht haben, gegen andere Menschen einsetzen würde. Dass ich ruhig an einem gemütlichen Lagerfeuer mit meinen Freunden sitzen, Bärenfleisch verspeisen und den Tod von Hunderten planen würde.
Doch haben wir denn eine Wahl? Ich kann es drehen wie ich will, ich erkenne keine Alternative, die nicht mit entweder ihrem oder unserem Tod enden würde. Und bei allem Edelmut, für ihren fanatischen Glauben bin ich nicht bereit, meine Freunde und mich selbst zu opfen.
Beim Einbruch der Dunkelheit ziehen wir in die Schlacht.
Alles läuft wie nach Plan: Luzija tanzt in sicherer Entfernung die magische Hütte herbei, in der wir für die Augen und Ohren der Wächter unsichtbar sind egal wie sehr sie herumhüpft und singt, und schweben darin wie ein unheilvoller Schatten der Vernichtung über die Festung. Von oben sieht sie noch trutziger und abweisender aus.
Und dann, in dieser sternenlos finsteren Nacht, entfesseln wir zum ersten Mal ganz bewußt den Höllenhund Zerstörung.
Zur Eröffnung fauchen drei glühende Meteore aus der Hütte herab, erhellen für einen Moment lang grotesk die Dunkelheit und schlagen dann donnernd in der Zitadelle ein, wo sie drei tiefe Krater in den Stein reißen.
Wir schwärmen aus: Ig'nea hat sich in einen gigantischen roten Drachen verwandelt, der sich unter wildem Gebrüll an die noch intakten Zinnen krallt und den Atem seiner feurigen Lungen in die Löcher bläst. Ich nutze meine Magie, um selbst das gelbe Gras meiner Heimat zu unseren Verbündeten zu machen, damit es sich um die Flüchtenden schlingt und sie an der Flucht hindert. Gerade im rechten Augenblick, denn da springt das Tor auf und einige Mönche taumeln heraus.
Ich höre ihre Schreie. Panik, Haß, Schmerz. Todesschreie. Doch es gibt kein Zurück mehr, der dreiköpfige Höllenhund ist von der Leine und tobt schwanzwedelnd seinen wahnsinnigen Zorn an ihnen aus.
Ich ziehe meinen Bogen, doch meine Seele weint.
Der Kampf entfaltet seine volle Scheußlichkeit und verdient nur noch einen Namen: Massaker.
Der nachtschwarze Himmel hat sich im Feuerschein des magischen Gewitters blutrot gefärbt, Schreie und Kampflärm mischen sich zu einer Kakophonie des Grauens in meinen Ohren.
Ig'nea verfärbt sich hin und wieder, spuckt Säure, Eis und Blitze, giftige Wolken wabern durch die Zitadelle und verpesten die Luft mit ihrem tödlichen Hauch, Elidan läßt abwechselnd Feuer und Eis auf die Todgeweihten prasseln. Furgas und ich beschäftigen uns mit den Flüchtenden, unterstützt von einer Horde wilder Tiger.
Plötzlich geht ein markerschütterndes Krachen durch die Zitadelle: ein Teil der Basis hat sich in Schlamm aufgelöst, und von seiner eigenen Last erdrückt bricht der gewaltige Steinturm langsam in sich zusammen. Einige Mönche springen noch rechtzeitig durch die Mauer hinaus, doch da werden sie bereits von uns erwartet. Außerdem versperrt eine sengende Feuerwand ihren Weg, beschworen durch Luzija, die wie eine rachsüchtige Todesgöttin über der Zitadelle schwebt und eine Salve nach der anderen feuert. Nahrung für den Höllenhund.
Furgas fängt einen der Springenden und beginnt einen Ringkampf mit ihm, scheinbar will er ihn, wie abgesprochen, zum Verhören gefangen nehmen. Doch der wehrt sich rasend, beschimpft ihn als Schlächter und Massenmörder. Einige todesmutige Mönche haben sich ebenfalls von Flucht zu Kampf gewandt und beharken uns.
Auch Ig'nea versucht einen Flüchtenden aus der Luft zu pflücken, unterschätzt dabei jedoch die Kraft ihrer Klauen und zerquetscht ihn zu Brei. Doch da es ihr nicht an Kandidaten mangelt, übt sie weiter und kann schließlich zwei Gefangene mit ihrem paralysierenden Gas bewußtlos pusten, bevor sie schwer angeschlagen den Rückzug antreten muß.
Eine halbe Stunde später ist der grausige Spuk endlich vorbei.
Satt und zufrieden hat sich der Höllenhund auf den rauchenden Trümmern der einst stolzen Mönchsfeste zusammengerollt und döst, die riesigen Pranken auf die überall verstreut liegenden, übel zugerichteten Leichen gebettet. Selbst das Land um uns herum hat tiefe Narben davongetragen, der verwüsteten Landschaft um den Goldenen Tempel in Irkbaz nach dem Kampf zwischen Brenell und Aldreds Leuten nicht unähnlich.
Unser kreischender Derwisch ist noch auf Verfolgungsjagd nach den wenigen Flüchtigen, die es aus dem Kreis der Vernichtung um uns herum geschafft haben, ich kümmere mich um Ig'neas Wunden und auch Elidan und Furgas unterstützen mich tatkräftig. Sie hat eine Menge abbekommen, kein Wunder, bot sie doch auch das prominenteste Ziel.
Aber ihr Wille ist wie das Feuer: eben glomm da nur noch ein schwaches Flämmchen, kurz vorm Verlöschen, doch kaum legt man ein wenig Holz nach, lodert es wieder auf und will verzehren. Daher macht sie sich auch gleich über die Gefangenen her und beginnt sie zu verhören.
Eigentlich hatte ich mir ein Verhör anders vorgestellt. Ich kenne Furgas' Art: erst die Tür eintreten und dann im Namen Torms mit Dorn am Hals des anderen Fragen stellen. Oder Luzijas Art: erst die Tür eintreten, sich ausziehen und dann mit dem Klauen am Hals des anderen Fragen stellen. Oder Goins Art: jemandem väterlich auf die Schulter klopfen, ein Bier ausgeben oder auch fünf, ein Liedchen trällern und dann einfach nur zuhören.
Doch Ig'nea hat ihre eigene Version. Sie setzt sich ruhig hin, legt den Kopf des Bewußtlosen in ihren Schoß, schließt ihre Augen und macht - gar nichts. Jedenfalls scheint es so. Ob es dasselbe ist, was sie tut wenn sie Visionen von Orten hat? Ich bin jedenfalls sehr auf ihre Ergebnisse gespannt.
Bevor es soweit ist, gibt es jedoch noch eine unangenehme Pflicht zu erfüllen. Zusammen mit Furgas trage ich die von schrecklichen Qualen gezeichneten Leichen zusammen, keine schöne Arbeit, doch anders als nach unserer ersten Begegnung mit ihnen spüre ich diesmal Mitleid in meinem Herzen. Begor und Kira sind gerächt, doch das Ergebnis war nur noch mehr Tod und Leid. Sie hätten es nicht gewollt, und diese hier waren im Grunde chancenlos gegen uns. Doch vielleicht hat all das jetzt endlich ein Ende.
Schließlich hält Furgas eine kleine Zeremonie ab und wir übergeben die Toten dem Feuer.
Eine Woche lang harren wir am Werk unserer Zerstörung aus. Luzija wühlt sich wie ein Maulwurf durch die Ruinen der Festung und fördert hin und wieder etwas zu Tage, das dem magischen Inferno standgehalten hat. So spartanisch diese Mönche sich gegeben haben mögen, sie haben ganz schöne Reichtümer angehäuft. Ich erinnere mich daran, was Luzija über das Ritual erzählt hatte: es koste ein kleines Vermögen, allein für die Heiltränke.
Ig'neas Befragungsmethode zeigt sich im Nachhinein brutaler als das, was Furgas oder Luzija ihren Opfern zufügen, denn wenigstens können die nach dem Verhör noch klar denken und sterben nicht wenige Tage später an den Folgen. Ich wünschte, sie wäre nicht ganz so rücksichtslos diesen Menschen gegenüber.
Aber das, was sie uns dann erzählt, ändert doch einiges an meiner Meinung über diese Mönche:
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Der Oberste des Ordens ist ein Gitzerai namens Trik'ten. Er bestimmt, wer ein Frevler und damit zu töten ist. Den Mord an Begor und Kira gibt er offen zu. Die Frevler kommen immer aus dem Baumportal in der Tierwelt, deshalb haben sie dort Spione stationiert, und die Frevler zeichnen sich dadurch aus, dass sie die grundlegende Existenz der Dinge gefährden.
Wer dem Orden beitritt, dem werden alle Sünden vergeben, folglich rekrutieren sich die Mitglieder zum größten Teil aus jenen, die in ihrem Leben Schlimmes angestellt haben und sich nun doch vor den Konsequenzen fürchten, die das auf ihren Bestimmungsort nach dem Tode haben wird. Vermutlich gibt es noch andere Klöster obwohl es nur dieses eine geben soll, doch ab und an kommen gut ausgebildete Mönche hierher zu Besuch, die niemand genauer kennt.
Unsere Heimat ist unzugänglich und vor den Göttern sicher. Brenell ist ihnen bekannt und soll sterben, jedoch kann man nicht offen gegen ihn vorgehen. Außerdem kommt der Anführer der Xaositekten in Sigil aus dem Dorf, ein weiterer ist bei den Göttermenschen abgetaucht. Fells Tätowierungen nutzen die Mönche, um uns aufzuspüren, wenn man etwas von uns besitzt ist das möglich.
Dann verrät er noch das Versteck eines Bunkers.
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Also ist dieser Orden nichts weiter als eine von irgendeinem Gott angeheuerte Söldnerarmee von Halunken, Mördern und Wahnsinnigen? Mit dem Versprechen von Sündenerlaß kaufen sie sich ihre bedingungslose Loyalität und lassen sie ihren Krieg austragen.
Doch warum gegen uns? Wieso gefährden wir die Existenz aller Dinge? Hätten sie uns nicht angegriffen und versucht uns zu töten, hätten wir sie doch in Ruhe gelassen. Fürchten sie nicht das, was wir sind, sondern das, was wir noch werden können? Dieser Gedanke leuchtet mir ein. Wenn immer mehr Wesen wie Brenell diese Welt bevölkerten, wäre das schon eine gewaltige Veränderung.
Luzija denkt da wesentlich praktischer. Sie schnappt Ig'nea und bringt sie in den geheimen Bunker, dort erspürt sie, dass tatsächlich zwei fremde Mönche bis hierher gelangt waren. Einen davon hat Luzija auf der Flucht getötet, doch ein anderer ist noch am Leben, kriecht auf allen vieren durchs Gras. Willensstark sind sie, das muß man ihnen lassen. Wieder spielt Ig'nea an seinem Hirn herum, damit er sich nicht selbst umbringen kann, dann bergen wir den Hilflosen und sie kann uns kurz darauf stolz verkünden:
Es gibt zwar kein zweites Kloster, aber in der Nähe des Baumportals gibt es eine Klause mit neun weiteren Mönchen. Sie sind die Schnelleingreiftruppe, bestehend aus den besten aber auch schlimmsten unter ihnen, daher die Isolation. So ganz scheinen die Götter wohl doch nicht auf die Läuterung durch Ablaß zu vertrauen. Jener hier zum Beispiel war ein Massenmörder, und diemal habe noch nicht einmal ich Einwände, als Ig'nea sein Leben beendet.
Hoffentlich haben diese Götter gelogen und er kommt für seine Taten in die tiefste Hölle, die er verdient hat.
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