Juvanis

Donnerstag, September 20, 2007

Tod und Auferstehung

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Als Furgas nach Stunden mit klingelnden Ohren erwacht, liegt er allein und nackt auf kaltem Fels. Dorn hält er noch immer umklammert, doch die einst strahlende Klinge ist matt und wirkt ... angelaufen. Sie spricht nur wenig, unter großen Schmerzen, er solle das bloß nie wieder tun.
Um ihn herum ist ein gigantischer Krater entstanden auf dessen Boden er hockt, als ob ein Riese mit seiner Pranke ein Stück aus einer Sahnetorte gegriffen hätte; nur dass die Torte eine Ebene war, von der jetzt ein beträchtlicher Teil fehlt. Etwas ratlos macht sich Furgas auf den Weg nach Sigil zu Artur. Nackt und ohne einen roten Heller dürfte das eine interessante Reise werden.


Derweil hat es uns an einen Ort verschlagen. Furgas hätte ihn beschreiben können, denn er war als einziger von uns schon einmal hier gewesen. Es ist der Ort, an den diejenigen kommen, die sonst niemand nach ihrem Tod haben will. Nicht einmal die Unteren Ebenen.

Mein Körper ist durchscheinend geworden und fühlt sich völlig schwerelos an, beinahe wie in der Elementarebene der Luft. Nein, nicht ganz. Dort spürte ich noch, dass ich einen Körper habe, auch wenn es keine eindeutige Schwerkraft gab. Hier ist das anders. Es gibt einfach keinen Körper mehr.

Im ersten Moment bin ich völlig orientierungslos, ein fast vergessenes und ungutes Gefühl. Eben standen wir doch noch vor einer Berghöhle in den Beastlands. Die fliehenden Mönche, Trik’ten, der Stab, die unglaubliche Explosion.
Jetzt ist alles anders. Um mich herum sehe ich meine Freunde, alle außer Furgas und Alceron, sie schauen sich ebenso verwundert um wie ich.

Plötzlich geht ein Ruck durch unsere Wesen und eine unsichtbare Kraft zieht uns vorwärts, wie ein steuerloses Schiff in der Strömung werden wir unaufhaltsam weitergetragen. Angezogen auf ein schemenhaftes Etwas.

Eine Mauer.

Doch nicht aus Stein und Mörtel, sondern aus unzähligen, sich windenden Leibern! Grässlich verzerrte Gesichter, die uns aus gepeinigten, leeren Augen anstarren. Näher, immer näher. Verzweifelt versuche ich gegen den Sog anzukämpfen, doch mein geisterhafter Körper will mir nicht gehorchen. Schon strecken sich fahle Arme nach mir aus, tasten klamme Finger suchend durch die Luft.
Ich pralle gegen ein Hindernis. Doch es ist nicht die Mauer aus Leibern, aus der sich mir noch immer erwartungsvolle Hände entgegenrecken. Wenige Zentimeter trennen uns, doch es ist vorbei. Der Sog hat uns freigegeben und wir entfernen uns schleunigst von dieser makabren Klagemauer. Was hat uns gerettet? Keiner von uns hat eine Antwort darauf, wir können nur vermuten, dass es eine der vielen Merkwürdigkeiten sein muß, die uns so vom Rest der Ebenen unterscheidet.
Diesmal bin ich jedoch sehr dankbar dafür.

Zumindest kann Elidan uns erklären, wie wir hierhergekommen sind: Trik’ten, dieser durchtriebene Wahnsinnige, hat als letzte gute Tat in seinem irregeleiteten Leben seinen Zauberstab zerbrochen und damit auf einen Schlag die gesamte darin gespeicherte Magie freigesetzt, was zu dieser gewaltigen Explosion führte.
Wir sind also tot. Ein eigenartiges Gefühl. Bis auf den Mangel an Körpergefühl bemerke ich gar keinen Unterschied, auch die anderen sehen aus und geben sich wie immer. Nur die Welt um uns herum hat sich verändert.

Wir beginnen, in dieser Fremde umherzuwandeln, doch so recht kommen wir nicht vom Fleck. Eigenartig.
Was wohl aus Furgas geworden ist? Vielleicht hat er ja wie durch ein Wunder überlebt und kümmert sich bereits um unsere Wiedererweckung. Dass so etwas möglich ist, haben wir an seinem Beispiel in Tamra erleben dürfen. Ob er wohl auch an diesem seltsamen Ort hier war?


Meine Gedanken werden jäh unterbrochen, als ich eine mir wohlbekannte Gestalt erblicke: Jarvis! Natürlich kann er mich nicht sehen, er weilt ja unter den Lebenden, dennoch spüre ich den Drang, zu ihm zu gehen und ihn zu berühren. Wie merkwürdig doch das Dasein eines Geists ist; die Lebenden zu sehen, doch für sie unsichtbar zu sein.

Er entrollt ein Pergament und liest daraus vor, und plötzlich habe ich wieder das Gefühl, dass mich etwas davonzieht und ich noch durchsichtiger werde. Doch dann hört es auf, Jarvis schleudert zornig die Rolle zu Boden, die sich noch im Flug auflöst. Hat er versucht meinen Geist zu beschwören?
Einen Moment lang scheint er zu überlegen, dann zieht er zu meiner Verwunderung sein Schwert. Erst als er es mit dem Heft voran im Boden eingräbt, erkenne ich plötzlich seine Absicht und mit einem Aufschrei stürze ich nach vorn; in dem Moment habe ich völlig vergessen, dass ich als körperloser Geist machtlos bin. Hilflos muß ich mit ansehen, wie er sich ohne zu zögern durch meine ausgestreckten Arme hindurch in sein eigenes Schwert fallen läßt.

Fassungslos stehe ich da und weiß noch gar nicht recht, wie mir geschieht, da erscheint plötzlich Jarvis’ geisterhafte Gestalt neben mir, zwinkert mir lächelnd zu, als wäre es das normalste der Welt, sich mal eben umzubringen - und wird dann auf die Mauer zugerissen. Doch meine Sorge stellt sich als unberechtigt heraus: wie wir zuvor kann auch er der grauenhaften Wand entkommen.

Mir fallen Luzijas Worte ein, dass wir anders sind, weil wir Kinder des Dorfes sind. Hat Jarvis mich was seine Herkunft betrifft etwa angelogen? Oder hat er wie Goin das Buch des Wahnsinns gelesen und somit den Frevel begangen?

Natürlich ist auch den anderen seine Ankunft nicht verborgen geblieben. Neugierig, aber weniger skeptisch als früher, bestürmen sie ihn mit Fragen, die er auch geduldig beantwortet - nachdem ich ihn wieder aus einer Umarmung entlassen habe. Und wir erfahren in der Tat einige interessante Neuigkeiten.


Offenbar kann er an diesem Ort frei mit uns sprechen, da „seine Herren“ uns hier nicht belauschen können. Deshalb verrät er uns auch, dass er tatsächlich ein Kind des Dorfes sei! Also daher die Immunität gegenüber der Fleischmauer.
Er sagt, dass er und Brenell vor allem deshalb ein so großes Interesse an uns hätten, weil wir Kinder des Dorfes so furchtbar wenige sind. Die meisten werden sofort von den Mönchen aufgegriffen und vernichtet; dass wir ihren Orden aufgemischt haben, würde kein dauerhafter Erfolg sein, denn sie sind nur ersetzbare Werkzeuge.
Jarvis bestätigt, dass der geistige Führer der Xaositekten tatsächlich einer von uns ist, wenn man geistig und Xaositekten in einem Satz nennen kann. Und der geheimnisvolle, bei den Göttermenschen Untergetauchte ist - er selbst! Jarvis ist ihr Schatzmeister.
Genau wie wir findet er es unerträglich, dass wir nie in Frieden leben können, da man uns ständig auf den Fersen ist. So viele sind schon getötet worden: Ich muß an Kira und Begor denken, mag mir gar nicht ausmalen an welchen Ort sie nach ihrem Tod kamen. Wir sagen ihm also unsere Zusammenarbeit zu, was Brenell betrifft hatten wir ja schon viel früher den Verdacht, dass er nicht wirklich unser Feind ist.
Jarvis entschuldigt sich insbesondere bei Luzija für die Unannehmlichkeiten, die sie durch seinen Mordanschlag hatte, doch es war nun einmal sein Auftrag. Wenigstens hat er dafür gesorgt, dass dieser heilbegabte Cornugon Dr. Akusa in der Nähe war.


Nach einer Weile meint Jarvis, dass er nicht mehr lange hier bleiben könne, man hätte seinen Tod sicher schon bemerkt und würde ihn erwecken. Falls es Furgas nicht schafft, uns binnen zwei Wochen von hier fortzuholen, würde er es tun, auch wenn er sich damit Ärger einhandelt. Blieben wir länger hier, liefen wir Gefahr, uns selbst zu vergessen.
Allerdings hätte das auch einen Preis: Dorn. Ich frage mich, ob er das wirklich ernst meint und sich bewusst ist, was für eine gefährliche Waffe er sich da einhandeln würde - für den Träger.

In den folgenden Tagen - Tagen? - bewahrheitet sich Jarvis’ Warnung. Je länger wir an diesem trostlosen Ort verweilen, umso weiter rückt die Erinnerung an mein Leben in Vergessenheit. Ziellos wandern wir umher, an ein Fortkommen ist nicht zu denken, immer wieder kehren wir zu der Mauer zurück.

Endlich, am zwölften Tag, endet dieser schleichende Zustand der Auflösung: Ein verlockender Ruf wühlt meinen Geist auf, ich folge ihm. Da ergreift mich ein Wirbel, reißt mich in die Höhe, aus Dämmerung wird wieder Licht. Ich fühle mich plötzlich unendlich schwer, klein und dicht, wie Kohlenstoff, der gerade zu einem Diamanten gepresst wurde. Spüre meinen Herzschlag wie Trommeln in den Ohren. Wie anstrengend doch das Atmen ist.


Dann ist es wieder finster. Ich öffne vorsichtig die Augen und blicke in einen grauen, leeren Himmel. Langsam atme ich ein und aus, versuche mich an das Gefühl eines Körpers zu gewöhnen. Ich spüre Kälte aufsteigen und ertaste harten Steinboden unter mir.
Da erscheint Furgas’ Gesicht in meinem Blickfeld. Er schaut ernst drein, irgendwie angespannt. Schnell hilft er mir auf und drückt mir eine Leinenrobe in die Hand, erst da fällt mir auf, dass ich völlig nackt bin. Ig’nea scheint das gar nichts auszumachen, sie hat schnell ihre Fassung wiedergewonnen.

Hastig ziehe ich die Robe an, dann sehe ich mich um. Verwittertes, eingestürztes Mauerwerk umgibt uns, wahrscheinlich eine alte Abtei. Alles sieht aus wie von einem Schleier überzogen, jede Farbe ist trostlosen Schattierungen von Grau gewichen.
Ein schwarzer Abishai steht etwas abseits von uns, ein feines Lächeln ziert seinen gehörnten Echsenschädel. Hat er uns etwa wiedererweckt? Weder Artur noch Furgas scheinen sich an seiner Anwesenheit zu stören.

Da dringt entfernter Kampfeslärm an meine Ohren. Neugierig wende ich mich einer Lücke in der Mauer zu - und erstarre!

Die Abtei steht auf einem kleinen Plateau und bietet daher einen makabren Ausblick auf eine wahrlich höllische Szenerie:
Unter uns tobt eine Schlacht von gewaltigen Ausmaßen. Horden von Tana’ri branden gegen die geordneten Schlachtreihen tausender Baatezu, fliegende Ungeheuer tränken Freund und Feind in Flammen und beharken sich gegenseitig mit Klauen und Zähnen. Gelegentlich stürzt eines von ihnen brüllend in die Tiefe und begräbt Hunderte unter sich. Riesige Katapulte schleudern Tod und Verderben in den Himmel, Waffengeklirr und unmenschliche Schreie vermischen sich zu einer Schreckenssymphonie, die mir durch Mark und Bein geht.

Der Blutkrieg.


Wie vom Donner gerührt starre ich auf die wogenden Heerscharen, als mich eine Klauenhand packt und unsanft zurückzieht.
„Wir wollen doch keine unnötige Aufmerksamkeit erregen.“ zischelt der Abishai. Noch völlig betäubt von dem Anblick stolpere ich den anderen hinterher, die sich bereits aufmachen, diesen ungastlichen Ort zu verlassen. Oinos, fährt es mir durch den Kopf, die erste Unterebene der Grauen Einöde. Schauplatz des seit Äonen tobenden Blutkriegs, in dem sich die Scheusale gegenseitig scharenweise abschlachten.

Eilig schreiten wir durch die ruinierte Abtei, nur fort von dieser tristen Heimstätte der Hoffnungslosigkeit und der Verzweiflung. Durch einen maroden Torbogen gelangen wir zurück in die Torstadt Sigil und folgen Artur schnurstracks in sein Haus.

Eine eigenartige Prozession sind wir: Artur, schwer gerüstet in seinem goldenen Panzer, Furgas mit Dorn, und dann wir anderen sieben Gestalten - im Nachthemd.
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Freitag, September 14, 2007

Das letzte Gefecht

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Hat ein Geist eine Vergangenheit?

Ich bin mir nicht mehr sicher. Die Erinnerung verblasst bereits. An das Leben einer Juvanis. War ich das?
Doch; ja. Ich erinnere mich wieder.

Was ist nur geschehen?


Ich war dem hellen Licht entkommen. Dorns Prüfung hatte mich an die Schwelle des Todes, jedoch nicht darüber hinweg befördert.
Es hatte nach diesem Vorfall auch nicht lange gedauert, bis alles ist wieder zur Normalität dieser Tage zurückkehrte. Dinge wie zum Beispiel meinen abgebissenen Arm vor meinen Augen zu rösten und zu verspeisen. Oder Elidan, der einem mysteriösen magischen Schimmern nachspürte, das womöglich ein Planeshift war. Gut, vielleicht hätte ich ihn beruhigen sollen dass es bloß Jarvis war, aber ich war einfach zu erschöpft.
Und natürlich eine Menge Beten seitens Furgas, der ein langes Gespräch mit Dorn hatte wegen des Vorfalls. Er hat versucht mich zu beruhigen weil Dorn meinte, er könne stolz auf mich sein. Meine Bereitschaft, für meine Treue zu Jarvis zu sterben hätte sie wohl bewogen, ihre Meinung über die „Verrätersau“ zumindest ein bisschen zu mildern. Was auch immer das heißen mag.

Luzija gräbt sich also weiter durch die Trümmer der ehemaligen Mönchszitadelle auf der Suche nach Hinweisen und Schätzen, bis schließlich Goin und Alceron aus Sigil eintreffen.

Die beiden erwartet ein grausiges Bild: selbst nach fast zwei Wochen steigt noch immer Rauch aus den Scheiterhaufen auf, der beißende Geruch des Todes hängt wie ein dunkler Vorhang über dem ganzen Gebiet. Die vernarbte Erde lässt kaum darauf schließen, dass hier vor gar nicht allzu langer Zeit noch wogendes, gelbes Gras stand.
Den Schrecken kann man ihnen ansehen, bei Alceron mehr als bei Goin. Doch er hat auch nicht erlebt, was wir erlebt haben, vielleicht hat er Glück und wird es auch nie. Wenn er in unserer Gesellschaft bleibt, wage ich das jedoch zu bezweifeln, mit Glück sind wir nicht gerade gesegnet.

Wobei, einiges von dem was Luzija mittlerweile angehäuft hat ist durchaus von großem Wert. Und zwar nicht nur in Gold gemessen: sie fördert jede Menge Papier zu Tage, unter anderem ein weiteres Ritualbuch. Eigentlich erstaunlich, bei all dem Feuer das hier gewütet hat hätte ich nicht mit Papier gerechnet, doch Luzijas und Elidans Augen leuchten. Die beiden werden in der nächsten Zeit wahrscheinlich kaum ansprechbar sein und ständig ihre Nasen in die Rollen stecken.

Nachdem wir Goin und Alceron die Geschehnisse der letzten Tage berichtet haben wird uns klar, dass wir die Sache gänzlich zu Ende bringen und auch die Elitetruppe in den Beastlands aufsuchen müssen. Entweder sie zeigen sich kooperativ und verraten uns endlich, was es mit dieser Verfolgung der Kinder des Dorfes auf sich hat, oder wir werden sie ebenso vernichten müssen wie das Kloster. Diese Hinrichtung unserer Leute muß ein Ende haben.


Ig’nea und Detritor nehmen einen Umweg über Ipkunis, sie haben wohl noch Geschäftliches zu erledigen, und Luzija beginnt wieder wie eine Wilde herumzuspringen und zu kreischen. Das wohlbekannte Ziehen geht durch meinen Körper, aber irgendwie fühlt sich etwas daran seltsam an. Doch noch bevor ich mir Gedanken darüber machen kann, reißt es mir plötzlich den Boden unter den Füßen weg - und ich falle!


Endloser Fall, immer tiefer hinab. Alles wird so klein und entschwindet schließlich ganz.
Sturz in die Vergessenheit. Wo bin ich? Wie viel Zeit ist vergangen?


Der Erdboden ist verschwunden, um mich herum ist nur unendliches Himmelblau, so weit das Auge reicht. Instinktiv entfalte ich meine Flügel, weiße flaumige Wölkchen rauschen im Fallen an mir vorbei, ich sehe die anderen schreiend hinunterstürzen. Hinunter? Ich habe keine Ahnung wie tief es überhaupt geht, ohne Boden. Oder falle ich gar nicht? Wo ist hier oben und unten?
In dem Moment hört der Fall auf. Auch die anderen halten nach und nach inne, noch etwas unbeholfen und erstaunt, doch die erste Panik ist einer aufkeimenden Neugier gewichen. Angestrengt versuche ich mich an unseren Unterricht in Ebenenkunde zu erinnern.
Die Elementarebene der Luft.
Eine der Inneren Ebenen.
Es gibt kein oben und unten, jeder wählt selbst, wohin ihn die Schwerkraft zieht.

Mit dieser Erkenntnis fällt das Fliegen doch sofort leichter. Vorsichtig versammeln wir uns wieder, Luzija murmelt etwas verschämt eine kleine Entschuldigung, irgendeiner ihrer schiefen Töne muß zu schief gewesen sein.
Plötzlich dringt Kampflärm an unsere Ohren. Der ist uns vorher völlig entgangen. Einige hundert Meter von uns entfernt schwebt eine kleine Felseninsel mitten in der Luft, zwei Türme drängen sich auf ihr zusammen. Ein Drachkin und ein Mensch kämpfen dort gegen drei Luftelementare und einen Beholder, doch sie sind der Übermacht unterlegen. Der Mensch sinkt getroffen zu Boden, wird von seinem Gefährten geschnappt und dann springt der Drachkin über den Rand der Insel auf und davon.

Einen Moment lang überlegen wir, ob wir eingreifen sollen, doch dann entscheiden wir uns dagegen. Dies ist nicht unser Kampf, wer weiß wer die beiden überhaupt sind; vielleicht haben sie den Zorn der Einheimischen ja sogar verdient.
Außerdem haben wir eine eigene Mission. Erneut stimmt Luzija ihren Singsang an und wirbelt in der Luft herum, das Ziehen ergreift uns...


... und wir spüren moosigen Waldboden unter unseren Füßen. Diesmal ist Luzijas Zauber geglückt, wir sind zwar viele Meilen vom Gebirge entfernt, aber auf der richtigen Ebene. Das Unterholz macht ein Vorankommen beschwerlich, doch es ist ein vertrautes Gefühl, wieder festen Boden unter sich zu spüren. Im Nachhinein fand ich die Luftebene gar nicht so übel, doch meinen Freunden hat es glaube ich weniger gefallen.

Nach zwei Tagen kommen wir an einer Lichtung vorbei, die uns merkwürdig bekannt erscheint. Als ein leises Quieken ertönt, fällt es mir wieder ein: das Lager der Werratten! Doch niemand greift uns an, ungehindert ziehen wir weiter.
Plötzlich befiehlt uns Goin, stehen zu bleiben. Er deutet auf Alceron und behauptet, jener würde beobachtet werden. Verflixt, warum haben wir nicht früher daran gedacht? Ständig muß man sich vorsehen, nicht von magischen Sprüchen ausspioniert zu werden. Goin versucht, den Schlüssellochgucker ausfindig zu machen, und für einen Moment färben sich seine Augen schwarz. Irgendwie unheimlich. Dann beschreibt er eine verhüllte Person, die auf einer anderen Ebene in dunkler Wildnis vor einer Sandfläche hockte und ihm mit einer behandschuhten Hand eine Nachricht in den Sand schrieb, irgendetwas mit „Vorsicht“.

Hätte Goin bloß besser aufgepasst und die ganze Warnung verstanden.

Furgas hat plötzlich eine Idee, zückt Dorn den Hammer, und bevor jemand ihn und seine guten Ideen aufhalten kann, berührt er Alceron damit. Nichts geschieht, doch Alceron zeigt wenig Begeisterung und meint plötzlich erschrocken, er habe die Verbindung zu seiner Göttin verloren.
Ein wenig verständnislos blicke ich ihn an, doch da schwenkt Furgas auch schon Dorn von Alceron zu mir. Angesichts meiner letzten Begegnung mit dieser fanatischen Waffe zucke ich zusammen, doch diesmal frisst sich Dorn nicht in meine Haut. Stattdessen spüre ich, wie auf einmal sämtliche Magie von mir zu schwinden scheint. Als ob jemand ein schweres Tuch über die Lichtquelle in meinem Geist gelegt hätte.
Sobald mich Dorn jedoch nicht mehr berührt, ist der seltsame Effekt wieder verschwunden. Eine eigenartige Methode, uns diesen nützlichen Trick der Waffe zu zeigen, aber andererseits typisch für Furgas. Erst handeln, dann fragen.

Schließlich befreit Elidan Alceron von dem Spionagezauber und wir ziehen weiter, der Waldrand ist nun nicht mehr fern. Bevor wir jedoch auf die offene Wiese zwischen Wäldern und Gebirge treten, zaubert Luzija ein magisches Auge herbei, um die Gegend aus sicherer Entfernung zu erkunden.
Das war eine wirklich gute Idee, denn sie erspäht einen unsichtbaren Zwerg, der an der Geröllkante entlang so schnell ihn seine kurzen Beine tragen in Richtung Binge Barmak hastet. Ob das ein Bote ist? Oder gar ein Spion, der unsere Ankunft melden soll? Goin ist jedenfalls schon auf Verfolgungsjagd, wir anderen bleiben zurück und warten darauf, dass Luzija die letzte Bastion der Mönche in den Bergen aufspürt.

Kurze Zeit später kehrt Goin zurück und gibt Entwarnung, der Zwerg war wohl wirklich nur ein harmloser Bote, also hat er ihn ziehen lassen. Gemeinsam brechen wir auf, Luzija hat das Lager in einer Höhle etwa 50 Meilen im Gebirge entdeckt. Unterwegs beraten wir unsere Vorgehensweise. Sie ist nicht gerade unumstritten; einige möchten die Überraschung nutzen und sie sofort eliminieren, andere versuchen sie zur Aufgabe zu überreden.
Schließlich fällt das Los auf Alceron. Er ist kein Kind des Dorfes, hat außerdem nicht an dem Massaker bei der Zitadelle mitgewirkt und soll daher unser Vermittler sein. Vielleicht lassen sie ja mit sich reden und wir erfahren, was es mit diesem kranken Orden auf sich hat.

An der Höhle angekommen erwartet uns eine Überraschung: Trik’ten, der weißberobte Gith und Anführer der Mönche, tritt aus der Höhle heraus und ergibt sich uns sofort unter der Bedingung, dass wir seine Leute frei ziehen lassen und auch nicht verfolgen. So viel Nobilität hätte ich einem ehemaligen Verbrecher gar nicht zugetraut, doch das Angebot der Läuterung von allen Sünden scheint tatsächlich eine Wirkung zu haben.
Wir erklären uns also einverstanden und sehen den acht verbliebenen Mönchen nach, die ihr Heil schleunigst in der Flucht suchen.
Acht? Einen Moment bin ich irritiert, der Mönch den Ig’nea befragt hatte sprach doch von neun Elitemönchen. Aber da tritt Trik’ten bereits auf mich zu und hält mir seinen Stab als Zeichen seiner Aufgabe hin. Noch bevor ich danach greifen kann, sehe ich das hinterhältige Lächeln in seinem schmalen Gesicht.

Falle.

Zu spät wird mir klar, was der Gith in seinen Händen hält. Sein Plan von der Läuterung. Zu spät. Mit einem triumphierenden Blick bricht Trik’ten den magischen Stab in seinen Händen entzwei und die Welt zersplittert augenblicklich in einer gewaltigen Explosion purer Magie.
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Ewige Treue

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Als ich am Morgen des achten Tages erwache würde ich am liebsten gar nicht aufstehen. Der ganze Ort hier ist mir zuwider geworden, und würde nicht Luzija darauf bestehen, auch noch den letzten Winkel der Zitadelle zu durchsuchen, ich wäre längst weitergezogen. Egal wohin, nur fort von den schwelenden Leichen und kalten Trümmerhaufen.

Ig'nea hat schon eine Nachricht an Goin und Alceron geschickt, sie sollen sich auf den Weg machen und sich hier mit uns treffen. Unser kleiner Feuerteufel ist ganz wild darauf, der Klause der Mönche in den Beastlands einen letzten Besuch abzustatten.
Sobald ich kann nehme ich mit meinem Limlim und dem Ur'epona reißaus und versuche weit genug zu reiten, bis ich wenigstens frische Luft zum Atmen haben und lebendiges Gras sehe. Den anderen schlägt dieser Ort auch langsam aufs Gemüt, außer Luzija und Ig’nea jedenfalls. Hier draußen fühle ich mich zumindest etwas wohler.

Zur Mittagszeit kehre ich zurück. Wir entzünden kein Feuer, irgendwie hat keiner so recht Appetit auf gebratenes Fleisch. Viel reden wir nicht, was gibt es auch schon zu sagen.
Erst als die Rede auf unsere nächsten Schritte kommt, wird es reger. Luzija und Ig'nea wollen sofort in die Beastlands, doch Furgas würde gern der Spur der kaltgeschmiedeten Adamantwaffen nachgehen. Das wäre bestimmt auch in Goins Interesse. Den Planetar brauchen wir nicht mehr zu fragen, und Furgas wurde es verboten, weitere Fragen zu stellen. Aber, wendet Luzija ein, uns anderen hat es niemand ausdrücklich verboten. Langsam entwickelt sie verdächtige Züge eines Brenell, wenn es um die Auslegung Wort für Wort geht. Doch ich kann nicht umhin ihr Recht zu geben, also erkläre ich mich bereit, Dorn auf ihre Herkunft anzusprechen.
Ich hatte ja keine Ahnung, was für ein kratzbürstiges Biest in dieser Waffe haust.


Kaum dass ich das dornengespickte Heft berühre, graben sie sich in meine Hand und ich spüre ein unangenehmes, kaltes Ziehen, als ob ich blankes Eis berührt hätte.
"Dorn?", frage ich vorsichtig. Die anderen stehen gespannt um mich herum. Komisches Gefühl, mit einem Schwert zu reden.
Einen Moment lang herrscht Stille, dann flüstert eine weibliche Stimme in meinem Kopf: "Was willst du, Verrätersau?"

Von Höflichkeit hat dieses angebliche Himmelsgeschenk wohl noch nichts gehört. Und wenn es um Jarvis geht passen Furgas und sein Schwert wirklich gut zusammen.
"Ich bin nicht hier, um über mein Privatleben zu sprechen, Dorn. Es geht um deine Herkunft, und wieso jemand mit deiner Einstellung mit jemandem wie Brenell zusammenarbeiten würde."

Egal was ich anstelle, Dorn bleibt eisern und verrät nichts über ihre wahre Herkunft. Nicht, wieso sie mit Brenell zusammenarbeitet, nicht wo der Schmied lebt oder warum es zwei verschiedene Versionen von "Dorn" zu geben scheint.

Gerade als ich mich wieder verabschieden will meint Dorn plötzlich gefährlich freundlich: "Ach, bleib doch noch ein bisschen und laß uns plaudern." Ich erinnere mich daran wie Furgas das letzte Mal aussah, nachdem Dorn ein Wörtchen mit ihm zu reden hatte und will das Heft schleunigst loslassen, doch es geht nicht!
Die Dornen haben sich fest in meine Handfläche verbissen und wie damals Furgas werde ich das vermaledeite Ding einfach nicht mehr los. Langsam spüre ich, wie die Wärme aus meiner Hand entweicht und in das Schwert gesogen wird.

"Wirst du dem Bösen abschwören, Juvanis?" fragt Dorn.
"Falls du damit meinst, dass ich mein Herz verraten soll, nein, das werde ich nicht tun.", presse ich zwischen zusammengebissenen Zähne hervor. "Was ich für Jarvis empfinde und was wir tun geht nur uns etwas an. Es muß dir genügen zu wissen, dass ich dabei nie etwas tun würde, das meine Freunde gefährdet."
Um mich herum werden die anderen unruhig, sie merken dass da irgendetwas falsch läuft.

Mich fröstelt, mir ist als ob mit der Wärme auch mein Leben langsam aus mir gesogen wird. Kraftlos sinkt meine Hand mit Dorn darin auf meine Knie, mir wird schwindelig.

"Schwöre dem Bösen ab!" herrscht mich Dorn unbeirrt an.
"Versteh doch, ich kann nicht." Das Sprechen fällt schwer, selbst das Atmen strengt mich viel mehr an als sonst. Ich spüre Angst und Zorn aufsteigen, doch es kostet mich alle Kraft, sitzen zu bleiben und nicht umzufallen.

Furgas erkennt als erster was Dorn vorhat und greift nach der Klinge, redet auf sie ein, doch in meinen Ohren rauscht es zu laut als dass ich seine Worte noch verstehen könnte. Kraftlos sinke ich immer weiter in mich zusammen, Schwindel überkommt mich und ich muß die Augen schließen weil ich fürchte dass mir sonst übel wird weil sich alles dreht.
Doch was immer Furgas auch gesagt haben mag, Dorn bleibt uneinsichtig.
"Schwöre dem Bösen ab!!" Ihre Stimme dröhnt in meinem Schädel.
"Vergiß es." Ich weiß nicht, ob ich es laut gesagt oder nur gedacht habe.

Da spüre ich, wie eine fremde Wärme meinen Körper durchströmt. Ich öffne die Augen. Elidan hat einen Heilzauber auf mich gewirkt. Auch Furgas nutzt Torms Macht, um mir zu helfen, doch was soll das bringen. Dorn ist eine Fanatikerin, und ich werde nicht nachgeben. Ich will nicht sterben. Nicht meine Freunde und Jarvis zurücklassen. Aber leben mit dieser Lüge wäre noch viel schlimmer.
"Aufhören, bitte", stammele ich, "ihr verlängert mein Leiden doch nur."

Plötzlich spüre ich einen scharfen Schmerz in meinem Arm, Luzija hat sich in mein linkes Handgelenk verbissen und zerrt und reißt daran. Völlig fassungslos starre ich auf die Wunde auf meinem unnatürlich weißen Arm, sie blutet fast gar nicht und tut trotzdem höllisch weh. Dorn schreit mich weiter an und saugt das Leben aus mir, unfähig mich gegen sie alle zu wehren muß ich zusehen, wie Luzija so lange mein Handgelenk malträtiert, bis sie tatsächlich meine Hand samt Dorn darin abgebissen hat!
Sofort heilt Elidan die schreckliche Wunde, doch freuen kann ich mich darüber nicht. Noch immer sehe ich Sternchen, kann mich kaum aufrecht halten und bin von der ganzen Situation vollkommen überfordert.

Und als wäre das alles nicht genug, halte ich auf einmal Dorn in der rechten Hand! Oh ihr Götter, lasst dieses Spiel doch endlich enden, denke ich mir, aber meine Gefährten hören nicht auf, mich bis zur Erschöpfung ihrer Mittel mit Heilzaubern zu quälen.
Doch alles, was sie mir geben, wird sofort von Dorn wieder verschlungen.


"SCHWÖRE DEM BÖSEN AB!!", brüllt Dorn durch den Schleier, der sich langsam über mein Bewusstsein senkt. Alles beginnt in hellem Licht zu versinken, bis auf ihre Stimme. Doch es macht nichts. Es wird nichts ändern.

"Niemals."


Auf einmal ist alles vorbei.
Dorn gleitet aus meiner Rechten und fällt zu Boden, meine linke Hand ist wieder heil und gesund. Ich bin noch hier.
Augenblicklich packt mich Luzija und fliegt davon. Erst als sie sich in sicherer Entfernung wähnt, landet sie und legt mich vorsichtig ins Gras.

Obwohl ich wieder völlig hergestellt zu sein scheine, fühle ich mich noch benebelt und bin reichlich verwirrt. Was ist geschehen? Warum hat Dorn im letzten Moment doch noch von mir abgelassen? Aus Barmherzigkeit wohl kaum.

Langsam kehren all meine Sinne zurück. Ich schmecke das mir wohlbekannte Aroma eines Heiltranks, und muss lächeln. Luzija fliegt zu den anderen zurück, und ich bin froh, jetzt einen Moment allein zu sein.
Doch ich bin nicht allein. Kaum dass Luzija abgehoben hat, spüre ich eine vertraute, unsichtbare Umarmung. Und Tränen. Wortlos halten wir uns einfach nur fest, und in diesem Moment verstehe ich, was Dorn davon abgehalten hat, mich zu töten.

Die drakonischen Runen auf der Klinge.


Ewige Treue.
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